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Björk: Ein Ranking aller Alben

Björk ist eine isländische Avantgarde-Pop-Künstlerin, die für mich zu den größten noch lebenden Musikerinnen überhaupt zählt und in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag feiert. Während ihre Fans wie ich gespannt darauf warten, ob sie in diesem Jahr mit einem neuen Album aufwarten wird, habe ich mich entschieden, ein Ranking ihrer besten Alben zusammenzustellen. Viel Spaß beim Entdecken einer tollen Künstlerin – oder beim Aufregen über meine offensichtlich falsche Bestenliste.

12. Drawing Restraint 9 (2005)

Ich habe ein wenig mit mir gerungen, ob ich dieses Album überhaupt in mein Ranking aufnehme, weil es nur eine Soundtrack-Arbeit für einen Kunstfilm gewesen ist. Aber da ich Björks anderen Soundtrack Selmasongs unbedingt in dieser Liste berücksichtigen wollte, habe ich mich entschieden, auch Drawing Restraint 9 nicht unerwähnt zu lassen.

Ich kann mich allerdings, was dieses Album angeht, recht kurz fassen: Es ist nicht gut. Die meisten Stücke klingen eher wie Skizzen, sind nur spärlich instrumentiert, und zu allem Überfluss singt Björk so gut wie nie. Selbst eingefleischten Björk-Fans kann ich daher nur davon abraten, dieses Album zu hören: Die knappe Stunde kann man besser mit jedem anderen Björk-Alben verbringen.

11. Volta (2007)

Was von Volta im Gedächtnis bleibt, sind die aggressiven Elektro-Ausreißer „Earth Intruders“, „Innocence“ und „Declare Independence“. Auf der anderen Seite wird das Album allerdings getragen von minimalistischen Blechbläserstücken wie „The Dull Flame of Desire“ oder „Vertebrae by Vertebrae“, sodass das Album janusgesichtige Züge hat: Es ist nicht ganz klar, welche künstlerische Idee Björk mit Volta eigentlich verfolgt hat. So wie es ist, wirkt das Album ein wenig zerrissen – und zu allem Überfluss sind die Blechbläserstücke auch nicht gerade spannend geraten. Daher ist Volta zwar durchaus noch okay, aber doch recht deutlich das schlechteste reguläre Album in Björks facettenreicher Karriere.

10. Biophilia (2011)

Auf Biophilia dominieren melodische Perkussionsinstrumente das Klangbild, wodurch das Album insgesamt etwas minimalistisch und hohl klingt – weniger wie ein lebendiger Organismus, sondern eher skelettartig und statisch. Eingängige Popmelodien darf man ebenfalls nicht erwarten; außer „Mutual Core“ ist bei mir jedenfalls nichts hängen geblieben. Das Album kann daher insgesamt wie sein Vorgänger Volta nicht so ganz überzeugen, sodass man zu diesem Zeitpunkt die Befürchtung haben durfte, dass Björk ihr Pulver bereits verschossen hatte. Doch schon mit ihrem nächsten Album Vulnicura konnte Björk wieder einen Volltreffer landen, wie wir weiter unten noch sehen werden.

9. Utopia (2017)

Als 2017 Utopia erschienen ist, habe ich mich richtiggehend in das Album reingefuchst und war nach gut 20 Hördurchläufen davon überzeugt, dass Björk hiermit eines ihrer absolut besten Werke vorgelegt hat. Mit einigen Jahren Abstand muss ich aber sagen, dass wohl doch eher die Neinsager Recht hatten: Das Album ist mit über 70 Minuten schlichtweg viel zu lang, und die meisten Songs mäandern zu selbstzufrieden vor sich hin, als dass sie den Hörer wirklich packen würden. Zwei Ausnahmen gibt es allerdings: Die Songs „The Gate“ und vor allem das unten eingebettete „Losss“ zeigen das Potential, das dieses Album gehabt hätte. So wie es ist, bleibt das Album eines, das ich durchaus respektiere, aber das ich mir in Gänze dann doch eher ungern anhöre.

8. Debut (1993)

Wenn wir Spotify Glauben schenken können, befinden sich die populärsten Björk-Stücke auf ihrem ersten Album Debut, was ich ganz gut nachvollziehen kann: Hier hat sich Björk noch einer verhältnismäßig eingängigen, weniger exzentrischen Form der Popmusik verschrieben, die auch heute, über 30 Jahre später, nicht wirklich veraltet klingt. Mir persönlich fehlt aber noch ein wenig der künstlerische Anspruch, den Björk mit ihren Nachfolgewerken an sich selbst angelegt hat, weshalb Debut in meiner Gunst eher weiter unten rangiert. Trotzdem ist das Album durchaus eine Hörempfehlung wert – es kann ja durchaus sein, dass ich falsch liege…

7. Post (1995)

Björks zweites Album Post gehört bis heute sowohl auf Streamingdiensten als auch unter Björk-Kennern zu ihren absolut besten Alben, mit dem ich aber doch so meine Probleme habe: Es ist eher eine Kollektion guter Songs als ein kohärent ineinander gefügtes Album geworden. Die unten eingebettete Single „It’s oh so quiet“ illustriert das Dilemma am besten. Einerseits ist es sicher einer der besten Songs, die Björk je geschrieben hat und klingt wie ein zeitloses Broadway-Musical-Stück, das in einer Zeitkapsel den Weg in die 90er Jahre geschafft hat. Andererseits passt das Lied überhaupt nicht auf das Album und zerstört für meine Begriffe komplett den Flow des Gesamtwerks – wenn es sowas auf diesem Album denn überhaupt gibt. Aber man verstehe mich nicht falsch: Post ist durchaus gut. Björk ist in meinen Ohren aber einfach noch besser geworden.

6. Selmasongs (2000)

Selmasongs ist der Soundtrack zu Lars von Triers sehenswertem Film Dancer in the Dark, in dem Björk die Hauptrolle der erblindenden Selma gespielt hat, die sich in Gedanken gerne in eine Musical-Welt flüchtet. Die Songs inkorporieren Alltagsgeräusche wie Fabrikmaschinen, vorbeifahrende Züge oder das Quietschen von Turnschuhen in einer Sporthalle, die in Selmas Fantasie zu Musicalstücken umfunktioniert werden. Eine fantastische Idee, die zudem erstklassig umgesetzt wurde.

Leider umfasst der Soundtrack nur 7 Songs, was vielleicht der Grund dafür ist, dass das Album eher ein Schattendasein in Björks Discographie fristet. Mich persönlich hat er allerdings zusammen mit dem Film Dancer in the Dark erst zum Björk-Fan gemacht, was sein hohes Abschneiden in diesem Ranking erklärt. Unten ist das Duett „I’ve Seen It All“ zusammen mit Radiohead-Sänger Thom Yorke eingebettet, der damals für einen Oscar nominiert wurde, jedoch bei der Preisverleihung leer ausgegangen ist. Stattdessen hat ihn Phil Collins für seine Schnulze „You’ll be in my heart“ gewonnen – Buuh, kann ich da nur sagen!

5. Medúlla (2004)

Ich bin selbst am meisten überrascht darüber, dass Medúlla auf meiner Liste so weit oben landet, denn auf dem Papier klingt das Album nach einem puren Gimmick. Björk verzichtete nämlich für dieses Album (fast) vollständig auf jegliche Instrumente und setzte allein auf die Kraft der menschlichen Stimme – selbst für die Percussions! Die Einstiegshürde ist dementsprechend etwas hoch, weil man sich manchmal doch ein wenig veralbert vorkommt und nicht so richtig weiß, wie ernst Björk selbst dieses Album eigentlich genommen hat.

Daher muss ich zugeben, dass Medúlla auch für mich ein bisschen den Status eines Experiments innehat, das mich eher selten zu ihm greifen lässt. Unterm Strich muss ich aber trotzdem sagen, dass Medúlla jedes Mal, wenn ich es höre, doch noch einen Tacken besser ist, als ich es in Erinnerung habe. Für Musiknerds mit einem Faible für abseitige Ideen ist das Album auf jeden Fall mehr als einen Blick wert.

4. Vulnicura (2015)

2015 konnte Björk mit Vulnicura die fast zehnjährige kreative Talsohle verlassen, die sie mit ihren Vorgängeralben Volta und Biophilia durchschritten hatte. Und wie es in der Musik gar nicht so selten der Fall ist: Der Auslöser war ein traumatisches Erlebnis – in diesem Fall die Trennung von ihrem langjährigen Partner und Vater ihrer Tochter Matthew Barney, für den sie auch das Album Drawing Restraint 9 geschrieben hat (siehe oben).

Vulnicura ist also Björks Version eines Breakup-Albums – ein ewiger Topos der Musikgeschichte, der wohl nie seine Anziehungskraft verlieren wird, solange es noch Menschen mit schlagenden Herzen in ihrer Brust gibt. Recht naheliegenderweise setzt Björk für dieses Album voll auf den Einsatz von großflächigen Streichern, schafft es aber aufgrund ihres eigenwilligen, dem Pop abholden Songwritings, sich von jeglichem Anflug von Kitsch fernzuhalten. Das geht natürlich auf Kosten der unmittelbaren Eingängigkeit – aber wer heute noch von Björk eingängige Popmusik wie auf ihren ersten Alben erwartet, an dem ist ihr künstlerischer Anspruch komplett vorbeigegangen. In diesem Sinne: Viel Spaß (haha!) mit dem zehnminütigen Herzstück des Albums, der Single „Black Lake“.

3. Fossora (2022)

Als Björks bis dato letztes Album Fossora erschienen ist, habe ich es nach kursorischen ersten Höreindrücken erst einmal beiseite legen müssen: Das Album zu hören fühlte sich eher wie Arbeit als Vergnügen an; wie ungeliebte Hausaufgaben, die man nun einmal machen muss, wenn man Björk-Fan ist. Glücklicherweise habe ich meine Hausaufgaben mittlerweile doch noch gemacht – denn Fossora ist schlichtweg atemberaubend gut.

Es ist einfach unglaublich, wie diese Frau, die in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag feiert, bis heute Musik schreiben kann, die ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus zu sein scheint. Man nenne mir nur einen Künstler, der so gelungen klassische Holzbläserinstrumentierung mit brutalem Gabber-Beat vereinen kann, wie es Björk auf dem Fossora-Opener „Atopos“ gelingt. Insgesamt hätte ich mir für das Album noch mehr Gabber gewünscht – ein Satz, den ich mir so auch nicht zugetraut hätte. Doch sei es, wie es sei: Fossora ist durchaus harte Kost, und ja, vielleicht sogar ein bisschen Arbeit. Aber es lohnt sich. Eine klare Hörempfehlung für Klangabenteurer.

2. Homogenic (1997)

Nach meiner heutigen Schätzung war Homogenic seiner Zeit um etwa 25 Jahre voraus: Erst jetzt wirkt das Album wie eines, das auch heute erscheinen könnte, ohne ungläubiges Stirnrunzeln hervorzubringen: So kann Musik auch klingen? Wie ein Geysirausbruch im frostigen Island? Und dabei noch auf eingängige Popmelodien setzen? Das beste aus Avantgarde und Pop in einem Album: Das ist Homogenic. Immer noch ein Meilenstein der Popmusik, der wie gesagt erst jetzt so wirklich kontemporär klingt.

1. Vespertine (2001)

Damit wir uns da nicht vertun: Homogenic und Vespertine sind beides Meilensteine, die den Platz auf dem Thron uneingeschränkt verdient hätten. Doch es kann nur einen geben – und während Homogenic seiner Zeit um 25 Jahre voraus klingt und damit in Gefahr steht, in den kommenden Jahren doch noch Rost anzusetzen, sehe ich diese Gefahr bei Vespertine nicht gegeben: Vespertine klingt vielmehr völlig zeitlos. Aber nicht jahreszeitlos: Vespertine klingt winterlich wie Neuschnee an Weihnachten. Ein Album zum in die Decke mummeln und Kräutertee trinken.

Bei Erscheinen des Albums waren die Kritiken und Reaktionen eher zurückhaltend, was vermutlich viel damit zu tun hat, welche Ansprüche man an Björk gestellt hat: Nach Homogenic erwartete man wohl einfach ein Album, das wiederum neue Maßstäbe in Sachen Sounddesign setzen würde. Das tut Vespertine wie gesagt nicht – und auch die Songs selbst sind nicht so extrovertiert wie man es von Björk bis dahin gewohnt war. Sie sind eher nach innen gekehrt, intim, zärtlich – eine Facette, die man von Björk so noch nicht kannte, und mit der man erstmal warm werden musste. Dass das Album völlig unpassenderweise im Hochsommer erschienen ist, hat sicherlich auch nicht bei der Rezeption geholfen…

Sei es, wie es sei: Mittlerweile ist Vespertines Platz im Musikkanon wohl relativ gesichert – auf der Aggregatswebsite rateyourmusic.com rangiert es auf Platz 20 der besten Alben aller Zeiten, Tendenz dabei steigend. Die Mehrheit hat gesprochen – und ich schließe mich hier der Mehrheit an: Vespertine ist Björks bestes, weil zeitlosestes Album.

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