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Tocotronic: Ein Ranking aller Alben

Tocotronic sind eine deutsche Rockband, die auf über 30 Jahre Bandgeschichte zurückblicken kann und uns in dieser Zeit kontinuierlich und auf erstaunlich hohem Niveau mit neuer Musik versorgt hat. In meiner Jugendzeit eher von mir verhasst, haben sie sich über die Jahre doch in mein Herz gespielt und gehören mittlerweile zu meinen absoluten Lieblingsbands. Ihr neues Album Golden Years war mir daher Anlass genug, ein persönliches Ranking all ihrer Alben zusammenzustellen.

14. Golden Years (2025)

Das neueste Album der Band ist zwar das Schlusslicht dieser Liste, aber es ist nicht schlecht. Ich habe es seit seinem Erscheinen vor knapp zwei Wochen wohl an die 20 Mal gehört und finde es ganz gut – aber eben auch nicht besser. Der Opener „Der Tod ist nur ein Traum“ ist eigentlich der einzige Song, den ich auf ein persönliches Tocotronic-Best Of packen würde. Die meisten Songs wirken auf mich leider ein bisschen – man verzeihe mir den Seitenhieb auf die Rock-Opas – zahnlos.

Am schlimmsten kommt diese Zahnlosigkeit auf der Vorabsingle „Denn sie wissen, was sie tun“ zum Tragen: Ein Protestsong gegen die erstarkende AfD, der aber leider weder zur Diagnose taugt, warum die AfD so im Aufwind ist, noch irgendwelche nachvollziehbaren Schritte aufzeigt, was man dagegen unternehmen kann. Stattdessen schlägt die Band vor, die AfD-Anhänger auf die Münder zu küssen, um sie schneller „kalt zu machen“. Das taugt nun wirklich nur zum Virtue Signaling. Macht ihr mal. Ich mach da nicht mit.

13. Pure Vernunft darf niemals siegen (2005)

Mit Pure Vernunft darf niemals siegen veröffentlichten Tocotronic 2005 ihr erstes Album als Quartett: Der Freunden der Hamburger Schule nicht unbekannte Rick McPhail stieß als zweiter Gitarrist zur Band und gehörte seitdem zum festen Inventar, bis er in diesem Jahr aus gesundheitlichen und persönlichen Gründen die Band verlassen musste.

Im direkten Vergleich zum Vorgänger Tocotronic [Das weiße Album] hört man auch gleich den Einfluss von Rick McPhail heraus: Man merkt, dass die Band ein Album schaffen wollte, das problemlos im Livekontext funktioniert. Im Zuge dessen wurden sämtliche elektronische Soundspielereien restlos getilgt: Gitarren, Schlagzeug, Bass – das war’s. Dadurch klingt das Album leider viel monochromer als der verspieltere Vorgänger, was mich damals schwer enttäuscht hat. Mittlerweile kann ich das Album ein bisschen besser für das schätzen, was es ist – aber trotzdem kommt es bei mir über ein „gut“ nicht hinaus, auch wenn es einige Highlights wie „Gegen den Strich“ zu bieten hat.

12. Nach der verlorenen Zeit (1995)

Nur vier Monate nach Veröffentlichung ihres Debüts hauten Tocotronic mit Nach der verlorenen Zeit einen nicht ganz halbstündigen Nachklapp raus, was für ein vollwertiges Album ein bisschen zu kurz, aber für eine EP auch wieder zu lang ist. Nennen wir es einfach ein Sahnehäubchen. Kann man sich gut anhören, ist für mich aber die am wenigsten essentielle Platte ihres schrammeligen Frühwerks.

11. Wie wir leben wollen (2013)

Wie wir leben wollen ist eine dieser Platten, die von vorne bis hinten einfach nur gut ist: Keine Ausreißer nach oben, aber auch keine nach unten. Der Albumtitel „Wie wir leben wollen“ wird für meine Begriffe leider nicht beantwortet – aber da darf man von einer Rockband vielleicht auch nicht zu viel erwarten. Würde ich jedenfalls eher Komplettisten ans Herz legen als einem Tocotronic-Neueinsteiger.

10. Nie wieder Krieg (2022)

Nie wieder Krieg erschien nur einen Monat vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, was zeigt, wie nah Tocotronic hier am Puls der Zeit gewesen sind. Meine Favoriten des Albums sind „Crash“, „Hoffnung“ sowie das überragende Duett „Ich tauche auf“ mit der Sängerin Soap&Skin, das wohl zu den mysteriösesten Liebesliedern gehört, die ich kenne. Der Rest des Albums erreicht zwar nicht ganz das Niveau dieser Songs, aber man kann es sich trotzdem gut anhören.

9. Schall und Wahn (2010)

Ich weiß nicht, woran es liegt – aber für mich ist Schall & Wahn als Album irgendwie weniger als die Summe seiner Teile. Es gibt kein Lied, das ich nicht mag – aber mit dem Album als Ganzem werde ich nicht so recht warm. Liegt es daran, dass Opener und Closer so lang sind? Am albernen „Bitte oszillieren Sie“? An den Texten, die mir nichts geben? Ich weiß nicht so recht. Aber eines weiß ich: Mit „Im Zweifel für den Zweifel“ haben Tocotronic ohne Zweifel klargestellt, dass sie mittlerweile in der Lage sind, richtig gute Balladen zu schreiben. Das war beileibe nicht immer so, wie wir gleich sehen werden.

8. Wir kommen um uns zu beschweren (1996)

Dieses Album ist wohl das inkonsistenteste Album der Bandgeschichte: Einerseits birst es nur so vor vollendeten Superhits unterhalb der 2-Minuten-Marke wie „Der Cousin“, „Die Welt kann mich nicht mehr verstehen“ oder „Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst“. Keine Frage, das Kurzformat haben Tocotronic seinerseits perfekt beherrscht. Leider haben sie sich aber auch an einigen Songs im 6-minütigen Langformat versucht – und diese Songs langweilen mich so sehr, dass ich jedesmal am liebsten umgehend die Stopptaste drücken würde. Ein Album, für das der Skip-Button erfunden wurde. Schade, dass das auf Platte schlecht geht. Aber wie sagten Tocotronic schon mit ihrem Debüt: Digital ist besser.

7. Es ist egal, aber (1997)

Auf dem letzten Album ihrer schrammeligen Frühphase begannen Tocotronic ein wenig zu experimentieren: Hier und da finden sich einige Streichersätze, und die Single „Sie wollen uns erzählen“ glänzt mit einer im wahrsten Sinne des Wortes eintönigen Mundharmonikaeinlage. Das funktioniert alles recht gut, aber im Rückblick betrachtet ist Es ist egal, aber eher ein Übergangsalbum: Irgendwas musste anders werden, aber die Band wusste wohl noch nicht so recht, was. Trotzdem ein gutes Album mit einigen Hits wie „Gehen die Leute“, „Nach Bahrenfeld im Bus“, oder das bereits erwähnte „Sie wollen uns erzählen“.

6. Die Unendlichkeit (2018)

Die Unendlichkeit ist ein typisches Spätwerk einer reifen Band: Ein bisschen routiniert, weniger klare Hits, dafür durchweg auf einem hohen Niveau. Das Album ist außerdem im Gegensatz zu Schall & Wahn mehr als die Summe seiner Teile: Ich würde wenige Songs auf ein Tocotronic-Best-Of packen, aber das Album als Ganzes höre ich sehr gerne. Trotzdem sollte man das Album eher hören, wenn man die Band schon mag – auch weil Dirk von Lotzow hier textlich vor allem sein Leben verarbeitet, was vielleicht eher für Fans von Interesse ist.

5. Kapitulation (2007)

Im Jahr des Erscheinens dieses Albums hatte ich die Gelegenheit, Tocotronic auf dem Immergut-Festival zu sehen. Mich haben allerdings die niederschmetternden Texte, die das Lebensmodell der Kapitulation anpreisen, damals doch eher runtergezogen, weshalb ich das Konzert frühzeitig verlassen habe. Ein Fehler – denn Kapitulation gehört sicherlich zu den besten Alben, die Tocotronic in ihrer Bandgeschichte veröffentlicht haben. Hätte ich mir mal ganz ansehen sollen, das Konzert. Und die Texte nicht so bierernst nehmen – denn wirklich überzeugend erscheint mir die Kapitulation als Lebensweg bis heute nicht. Aber egal: Der Opener „Mein Ruin“ ist trotzdem einer der besten Songs, den die Band bis heute geschrieben hat. Und der Rest ist auch nicht viel schlechter. Tolles Album!

4. Digital ist besser (1995)

Das Debüt Digital ist besser ist das Album, das mich von einem Tocotronic-Hater in einen Fan verwandelt hat. Ungestüm und schnodderig schütteln Tocotronic hier einen Hit nach dem anderen aus dem Ärmel, und selbst die langsameren Balladen wie „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“ und „Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“ oder die damals noch obligatorischen Stücke des Drummers Arne Zank sind durchweg gelungen. Es gibt eigentlich nur einen Grund, weshalb das Album nicht noch weiter oben auf der Liste gelandet ist: Ich habe es schlicht so oft gehört, dass mich die späteren Alben mittlerweile mehr reizen. Trotzdem würde ich dieses Album als Einstieg empfehlen, wenn man ein Faible für hingerotzten Indie Rock mit punkiger Attitüde hat. Ein Klassiker deutscher Rockmusik.

3. Tocotronic [Das weiße Album] (2002)

Wer dachte, dass der Vorgänger K.O.O.K. nur ein Ausreißer war, musste sich mit dem selbstbetitelten Nachfolger eines besseren belehren lassen: Tocotronic haben mit diesem Album ihre schrammeligen Anfangstage endgültig hinter sich gelassen und spielen stattdessen hinreißenden Indie Pop mit verschnörkelter Instrumentierung und kryptischen Texten, für die das Wort Metaebene erfunden wurde. „Eines ist doch sicher: Eins zu Eins ist jetzt vorbei“, wie es auf dem tollen Closer „Neues vom Trickser“ heißt.

Das ganze Album ist richtig gut, aber ein Song ragt dann doch nochmal aus der Klasse heraus: „Hi Freaks“ gehört sicherlich zu meinen meistgehörten Tocotronic-Songs, den ich bis heute komplett mitsingen kann. Einfach herrlich. Auch für Einsteiger in die Band ist das Album sehr zu empfehlen.

2. Tocotronic [Das rote Album] (2015)

Als Tocotronic 2015 ihr zweites selbstbetiteltes Album veröffentlichten, war die Rezeption eher zwiegespalten: Böse Stimmen unkten, die Band sei jetzt in oberflächlichen Schlager abgedriftet. Es ist halt schwierig, gute Texte über Liebe zu schreiben – und man kann in der Tat darüber streiten, ob Tocotronic hier textlich nicht den einen oder anderen Song versemmelt haben.

Aber eines ist auch klar: Musikalisch ist das hier sicherlich kein Schlager, sondern nur herrlich eingängiger Indie Pop, der Tocotronic auf der Höhe ihres Schaffens zeigt. Die zweite Hälfte kann zwar nicht ganz mit der ersten Hälfte mithalten, aber die erste Hälfte ist in meinen Ohren so toll, dass sich das Album seinen Platz so weit oben im Ranking trotzdem verdient hat. Auch mit diesem Album kann man daher meines Erachtens durchaus in die Band einsteigen.

1. K.O.O.K. (1999)

Ich war vierzehn, als ich 1999 damit begann, mich für Musik zu interessieren. Auf Viva Zwei – Gott habe diesen Musiksender selig – lief damals die aktuelle Tocotronic-Single „Let There Be Rock“, und ich habe es gehasst. Gehasst! Noch schlimmer war allerdings meine erste Berührung mit dem ganzen Album. Ich weiß noch, wie ich mit meinem damals besten Freund im Wohnzimmer saß und wir uns gemeinsam das Album anhörten. Ich war natürlich noch grün hinter den Ohren, aber ich hatte damals noch nie etwas Langweiligeres gehört: Alle Songs dümpelten im Mid-Tempo vor sich hin, einer klang wie der andere, und am Ende musste man auch noch einen zehnminütigen Schleicher über sich ergehen lassen. Damit waren Tocotronic für mich abgehakt: Die schlechteste Band Deutschlands!

Selbst als ich später zum Fan geworden war, machte ich einen großen Bogen um dieses Album: Ich war überzeugt, dass es wirklich so scheiße war, wie ich es in Erinnerung hatte. Die Wende kam erst, als ich meinen festen Standpunkt gegenüber einem anderen Tocotronic-Fan kundgetan habe: Der war demgegenüber der Ansicht, dass das Album voller Hits sei und vielleicht sogar das beste der Band. Das brachte mich ins Grübeln: Konnte ich mich in meinen jungen Jahren vielleicht getäuscht haben? Sollte ich dem Album nochmal eine Chance geben?

Etwas ängstlich orderte ich das Vinyl und gab dem Album nochmal eine Chance. Und verdammt: „Jackpot“ und „Die Grenzen des guten Geschmacks 2“ waren ja wirklich Hits! Und der Closer ist mitnichten langweilig, sondern herausragend guter Post Rock! Hatte ich mich wirklich getäuscht? Nochmal hören. Und nochmal. Und nochmal. Und irgendwann machte es Klick: Ja, jeder Song klingt gleich, ja, jeder Song dümpelt im Midtempo vor sich hin – aber das Album ist mit seinen kryptischen alltäglich-apokalyptischen Texten unendlich faszinierend. Und es ist diese das Album durchziehende Apokalyptik, die mir letztlich auch das „Final Countdown“-Zitat in „Let There Be Rock“ schmackhaft gemacht hat: Der „Final Countdown“ als Anspielung auf das Ende der Welt. Witzig.

Was soll ich also sagen: Mittlerweile ist K.O.O.K. auch mein liebstes Album der Band, aber aus eigener Erfahrung würde ich jedem Neueinsteiger dringend empfehlen, mit anderen Alben der Band zu starten. Das hier ist eher ein Fan-Favorite, der ein bisschen Sitzfleisch und eine gehörige Portion guten Willen einfordert. Aber die investierte Zeit lohnt sich. Ein Meilenstein der deutschsprachigen Rockmusik.

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