Kategorien
Philosophie Willensfreiheit

Vorzüge meiner Willensfreiheitsdefinition, Teil 1

In meinem letzten Blogeintrag habe ich eine – soweit ich sehe – neue Definition der Willensfreiheit vorgeschlagen: Der freie Wille eines Lebewesens besteht in seiner Fähigkeit zur Modifikation seines Handlungsspielraums. Ich habe zudem erläutert, wie diese abstrakte Definition aufzufassen ist. In diesem Blogeintrag beginne ich damit, einige Vorzüge dieser Definition der Willensfreiheit vorzustellen.

Vorzug 1: Mein Begriff der Willensfreiheit ist entkoppelt vom Begriff des Menschen

Manchmal wird der freie Wille als etwas aufgefasst, das nur Menschen haben können. Diese Auffassung halte ich für zu eng. Man kann sich auch fragen, ob beispielsweise ein Hund oder ein Vogel über einen freien Willen verfügt. Ich halte es jedenfalls nicht a priori für ausgeschlossen, dass Tieren ein freier Wille zukommt. Ob Tieren allerdings wirklich ein freier Wille zukommt, wird wohl auf ewig ungeklärt bleiben. Insofern ist dieser Vorzug nur ein nettes Beiwerk.

Vorzug 2: Mein Begriff der Willensfreiheit ist entkoppelt vom Begriff des Wesens des Menschen

Manchmal wird der freie Wille als etwas aufgefasst, das „demMenschen als Mensch zukommt. Der freie Wille gehört dann zum Wesenskern des Menschseins. Diese Auffassung halte ich für falsch: Ich glaube zwar, dass jeder Mensch das Potential besitzt, einen freien Willen auszubilden. Ich glaube aber nicht, dass jeder Mensch als Mensch diese Fähigkeit auch tatsächlich ausgebildet hat.

Die Ausübung der Willensfreiheit muss wie das Radfahren oder das Laufen erst erlernt werden – die Willensfreiheit fällt uns nicht einfach in den Schoß. Deshalb stellt sich für jeden Menschen (oder allgemeiner für jedes Lebewesen) von neuem die Frage, ob er einen freien Willen besitzt: Diese Frage lässt sich nicht bündig für alle Menschen zugleich beantworten – ja nicht einmal für einen einzelnen Menschen im Verlauf seines ganzen Lebens – oder gar im Verlauf eines einzigen Tages…

Vorzug 3: Mein Begriff der Willensfreiheit ist kompatibel mit unseren besten physikalischen Theorien

Manchmal erscheint die Willensfreiheit wie eine Art spukhafter Kraft, die von außerhalb der Domäne der Physik Wirkungen hervorruft, die sich nicht physikalisch erklären lassen. Das ist philosophisch unbefriedigend, da man hoffen muss, dass sich diese spukhaften Wirkungen in einer Physik der Zukunft doch noch irgendwie erklären lassen. Anderenfalls lässt sich nämlich stets mit Recht bestreiten, dass Lebewesen eine solche spukhafte Kraft überhaupt besitzen können.

Wie ich in meinem letzten Blogeintrag ausgeführt habe, ist mein Begriff allerdings aus der Quantenphysik motiviert: So wie es dort einen irreduziblen Raum der physikalischen Möglichkeiten gibt, wie sich ein Elementarteilchen im Experiment verhalten kann, so gibt es meiner These zufolge für Lebewesen einen Raum der physikalischen Möglichkeiten, wie sich ein Lebewesen verhalten kann. Diesen Raum nenne ich den Handlungsspielraum des Lebewesens.

Dass man nun in diesen Handlungsspielraum modifizierend eingreifen kann, hat aus Sicht der Physik überhaupt nichts Spukhaftes an sich. Schließlich können wir auch durch experimentelle An- und Umordnung in den „Handlungsspielraum“ der Elementarteilchen eingreifen, wodurch wir Möglichkeiten für experimentelle Ergebnisse beschneiden oder hinzufügen. Anders ausgedrückt: Physikalische Möglichkeiten sind genauso real wie die physikalische Wirklichkeit – und was physikalisch real ist, lässt sich auch manipulieren.

Vorzug 4: Mein Begriff der Willensfreiheit lässt sich problemlos verallgemeinern

Dieser Vorzug gilt nur für Panpsychisten, also für solche Philosophen, die Bewusstsein als ein physikalisches Grundphänomen auffassen wollen. Meine Definition lässt sich problemlos erweitern zur Variante: Der freie Wille einer Entität ist ihre Fähigkeit zur Modifikation ihres Handlungsspielraums. Damit könnten wir einfangen, was ich vorhin metaphorisch gesagt habe, als ich vom „Handlungsspielraum“ eines Elementarteilchens sprach: Vielleicht haben Elementarteilchen wirklich einen freien Willen, und die Willensfreiheit zieht sich so physikalisch von unten nach oben durch. Aber ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass mein Begriff der Willensfreiheit eine panpsychistische Angelegenheit ist. Daher habe ich mich für die andere Formulierung mit den Lebewesen entschieden.

Vorzug 5: Mein Begriff der Willensfreiheit ist inkompatibel mit dem Determinismus

Mit Kompatibilismus bezeichnet man in der Philosophie die These, dass Willensfreiheit kompatibel mit dem Determinismus ist. Determinismus bezeichnet die (durch die Quantenphysik überholte) Vorstellung, dass sich aus dem Zustand des Universums zu einem Zeitpunkt t alle weiteren Zustände des Universums mit Notwendigkeit ergeben.

Obwohl die Vorstellung des Determinismus aus quantenphysikalischer Sicht überholt ist, nimmt die Debatte über den Kompatibilismus immer noch einen großen Raum in der Literatur über die Willensfreiheit ein. Interessanterweise sind unter den Fachphilosophen die Kompatibilisten in der relativen Mehrheit: Sie glauben, dass wir einen freien Willen haben können, selbst wenn alle zukünftigen Zustände des Universums – und damit insbesondere auch meine eigenen Zustände – mit Notwendigkeit vorherbestimmt sind.

Ich habe allerdings den Eindruck, dass diese unter Fachphilosophen häufig vertretene Ansicht unter philosophischen Laien so gut wie gar nicht auftritt. Ich persönlich hatte jedenfalls immer – und habe es noch heute – die starke Intuition, dass wir unmöglich einen freien Willen haben können, wenn die Zustände des Universums mit zwangsläufiger Notwendigkeit aufeinander folgen. Und in meinen (zugegeben spärlichen) Diskussionen über das Willensfreiheitsproblem mit philosophischen Laien habe ich stets das Gefühl gehabt, dass andere philosophische Laien das ähnlich sehen.

Meine Definition des Willensfreiheitsbegriffs zeichnet sich nun jedenfalls dadurch aus, dass diese Intuitionen noch verständlicher werden: Denn wenn der Handlungsspielraum die physikalisch möglichen Handlungsoptionen eines Lebewesens bezeichnet, so folgt aus der These des Determinismus sofort, dass der Handlungsspielraum eines Lebewesens stets aus genau einer Handlung bestehen muss.

Der Grund dafür ist leicht zu sehen: Da sich aus dem Zustand des Universums zum Zeitpunkt t alle zukünftigen Zustände des Universums mit Notwendigkeit entwickeln, gibt es für das Universum als Ganzes nur eine physikalische Entwicklungsmöglichkeit – nämlich die zukünftige physikalische Wirklichkeit. Und da ich als Lebewesen ein Teil des Universums bin, gibt es auch für mich stets nur eine physikalische Handlungsmöglichkeit – nämlich die zukünftig physikalisch wirkliche Handlung.

Die Mächtigkeit des Handlungsspielraums eines Lebewesens ist unter der Annahme des Determinismus also stets gleich 1. Ein Lebewesen kann diesen Handlungsspielraum nicht modifizieren: Denn dazu müsste er den Handlungsspielraum erweitern können – was bei einem Handlungsspielraum der Mächtigkeit 1 unmöglich ist –, oder verengen können – was bei einem Handlungsspielraum der Mächtigkeit 1 ebenfalls unmöglich ist.

Noch einmal anders ausgedrückt: Unter Annahme des Determinismus ist das physikalisch Mögliche identisch mit dem zukünftig physikalisch Wirklichen. Daher lässt sich an den Möglichkeiten nichts ändern: Was zum Zeitpunkt t für den späteren Zeitpunkt t‘‘ physikalisch möglich ist, ist bereits zum Zeitpunkt t festgelegt: Es ist dasjenige, was zum Zeitpunkt t‘‘ nach dem Determinismus eintreten muss. Und das gilt genauso für alle weiteren Zeitpunkte t‘ zwischen t und t‘‘: Auch zum Zeitpunkt t‘ ist das für den späteren Zeitpunkt t‘‘ physikalisch Mögliche identisch mit dem, was zum Zeitpunkt t‘‘ nach dem Determinismus eintreten muss.

Unter dem Determinismus ist der Handlungsspielraum also eine fixe Größe der Mächtigkeit 1. Er lässt sich nicht ändern. Insbesondere kann kein Lebewesen seinen Handlungsspielraum modifizieren. Also gibt es nach meiner Definition keinen freien Willen, wenn wir den Determinismus annehmen.

Ausblick

Mit dieser Handvoll Vorzüge meiner Willensfreiheitsdefinition lasse ich es für heute bewenden. In den kommenden Blogeinträgen werde ich aber noch weiter herausstellen, warum ich meine Definition für besser halte als ihre Kontrahenten im philosophischen Diskurs. Dafür muss ich aber noch tiefer in den Diskurs einsteigen – was ich mir für besagte künftige Blogeinträge vorbehalte. Dieser Artikel ist nur ein kleiner Vorgeschmack. Oder wie es in der Teleshopping-Werbung so schön heißt: „But wait, there is more!“ 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent mit Real Cookie Banner