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Philosophie Sinn des Lebens

Was ist der Sinn des Lebens? Fragen wir besser nicht Terry Eagleton.

Entgegen einem gängigen Vorurteil wird die Frage nach dem Sinn des Lebens von heutigen Philosophen in der Regel weder gestellt noch beantwortet – Ausnahmen dürften nur die Regel bestätigen. In philosophischen Seminaren bin ich mit dieser Frage jedenfalls nie konfrontiert wurden, insofern gehört die Frage offenbar nicht zum Kanon dessen, was wir universitäre Philosophie nennen dürfen.

Insofern erscheint es schwierig, einen objektiven Maßstab für philosophische Werke über den Sinn des Lebens zu finden: Wo nichts ist, kann auch nicht gemessen werden. Vor diesem Hintergrund ist es löblich, dass sich mit Terry Eagleton immerhin ein Literaturwissenschaftler berufen gefühlt hat, die gelehrte Leere zu diesem Thema mit dem Buch „Der Sinn des Lebens“ zumindest ein wenig füllen.

Leider ist es aus philosophischer Sicht ein schlechtes Buch geworden. Wer eine tiefgründige Auseinandersetzung mit einem (jedenfalls vermeintlich) tiefgründigen Thema erwartet, wird von Terry Eagletons durchgehend unmethodischem Traktat tief enttäuscht sein.

Dabei zeigt er durchaus gute Ansätze: So problematisiert er durchaus die Frage, was wir denn überhaupt unter „Sinn“ oder „Leben“ verstehen, wenn wir uns die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen. Das Problem seines Vorgehens ist aber, dass er sich im Wesentlichen darauf beschränkt, Aussagen anderer Autoren zu zitieren und oberflächlich zu interpretieren, um sich anschließend im assoziativen Schweinsgalopp dem nächsten Gedankengang zu widmen, sodass sein Text weniger einem textilen Gewebe ähnelt als einem verleimten Flickenteppich.

So kommt es dann dazu, dass wir nach über 100 Buchseiten immer noch keine genaue Vorstellung davon haben, wonach die Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt fragt, uns aber dafür in einem einzigen Satz ein ganzer Blumenstrauß an möglichen Antworten vorgesetzt wird:

„Natürlich gibt es außer dem Glück noch weitere Kandidaten für den Sinn des Lebens, zum Beispiel Macht, Liebe, Ehre, Wahrheit, Lust, Freiheit, Vernunft, Autonomie, Staat oder Nation, Gott, Selbstaufopferung, Kontemplation, ein Leben im Einklang mit der Natur, das größte Glück der größten Zahl, Verzicht, Tod, Begehren, irdischen Erfolg, die Achtung der Mitmenschen, möglichst viele intensive Erfahrungen, herzlich lachen und so weiter.“ (S. 128)

Auf den folgenden Seiten setzt er sich mit Macht als möglicher Antwort etwas genauer auseinander, deren Fazit ich polemisch wie folgt zusammenfassen möchte: Macht ist vermutlich nicht der Sinn des Lebens, weil es keinen Endzweck des Daseins darstellt, außer man versteht den „Willen zur Macht“ so wie Nietzsche als einen Drang zur Selbstverwirklichung, was ja irgendwie mit Aristoteles zusammenpasst, also doch ein Endzweck wäre, was im Übrigen auch Spinoza so oder so ähnlich gesehen hat, aber Macht im Sinne Nietzsches bedeutet auch Herrschaft, und Tyrannen sind scheiße.

Nächster Absatz: Reichtum. Hier hätte ich von Terry Eagleton als Marxisten definitiv mehr erwartet – denn gerade vor dem Hintergrund der Herrschaft des Kapitalismus, dessen innerer Antriebsmotor die Akkumulation von Kapital um seiner selbst willen ist, ergibt sich die Frage nach dem Sinn des Ganzen doch fast von selbst. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Über den Zusammenhang von Kapitalismus, steigenden Depressionszahlen und Sinnkrisen könnte man mal ein Buch schreiben!

Eagleton belässt es aber bei zwei Absätzen auf einer knappen Seite und wendet sich als nächstes völlig unvermittelt Freud und dem Tod zu, was man irgendwie so oder so verstehen kann, ich weiß nicht genau, aber den Tod akzeptieren müssen wir schon, klingt irgendwie negativ, muss es aber nicht sein, wenn wir an Paulus denken, und sowieso: „Nur weil wir den Tod in uns tragen, können wir überhaupt weiterleben. [sic!]

Wenn der Tod als allzu düstere Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens erscheint und das Begehren als allzu heiße, wie wäre es dann mit geistiger Versenkung?“ (S. 133) Auf diesem Niveau ist Eagletons Buch geschrieben, und es ist vermutlich diese über den Dingen tänzelnde Seichtheit, die es zum SPIEGEL-Bestseller gemacht hat. Falls geistige Versenkung tatsächlich der Lebenssinn sein sollte, hätte Eagleton ihn definitiv verfehlt, und so nimmt er den Gedanken der geistigen Versenkung zum Anlass, Aristoteles wie einen kleinen Schuljungen zu behandeln – ein Vorgang, bei dem ich einfach nicht umhinkann, ihn in seiner gleißenden Blödheit in Gänze zu zitieren:

„Selbst Aristoteles [sic!] sah bei allem Interesse am praktischen Leben in der Kontemplation die höchste Form der Erfüllung. Doch der Gedanke, der Sinn des Lebens bestehe darin, über den Sinn des Lebens nachzudenken, scheint sich doch in den Schwanz zu beißen. Außerdem wird damit unterstellt, der Sinn des Lebens sei eine Aussage von der Art ‚Das Ich ist eine Illusion‘ oder ‚Alles ist aus Grießmehl‘. Eine kleine Elite von Weisen, die ihr Leben damit verbringen, über solchen Fragen zu brüten, kann dann das Glück haben, auf eine Antwort zu stoßen, worin auch immer sie bestehen mag. Das gilt zwar nicht so sehr für Aristoteles, nach dessen Ansicht solche Spekulationen oder theoria selbst eine Art Praxis darstellt, zeigt aber die Gefahr, die hier generell droht.

Falls das Leben einen Sinn hat, ist er bestimmt nicht von dieser Art. Der Sinn des Lebens ist weniger eine Aussage als eine Praxis; keine esoterische Wahrheit, sondern eine bestimmte Lebensweise.“ (S. 134)

Nach Kant beurteilen wir etwas als schön, wenn wir durch seine Betrachtung zu einem freien Spiel unserer Erkenntnisvermögen angeregt werden – insofern hat Eagletons in diesem Absatz schamlos zur Schau gestellte Blödheit auch etwas hinreißend Schönes, da sie unser Erkenntnisvermögen zu immer weiteren Fragen anregt: Hat Aristoteles sich etwa genüsslich in den Schwanz gebissen? (Hihihi!) Ist das Ich eine aus Grießmehl bestehende Illusion? Und ist geistige Versenkung eine Art Praxis, die keine Praxis ist?

Von der drohenden Gefahr, die von der geistig versenkten Elite in ihrem Elfenbeinturm ausgeht, ist Bestsellerautor Terry Eagleton jedenfalls nur als Außenseiter betroffen – zum Glück, möchte man mit ihm erleichtert aufseufzen! Denn der Sinn des Lebens besteht ihm zufolge in der Einrichtung einer politischen Gemeinschaft, in der sich alle Menschen wie in einer Jazzband frei aufeinander beziehen und genau dadurch die Freiheit gewinnen, sich selbst frei auszudrücken und zu entfalten. Er selbst sieht das als ein „utopisches Ziel“, aber das sei nicht schlimm, weil ein solches Ziel wenigstens die Richtung angebe:

„Was wir brauchen, ist eine vollkommen zweckfreie Lebensweise, wie ja auch die Jazzmusik zweckfrei ist. Statt einem nützlichen praktischen oder einem ernsten metaphysischen Zweck zu dienen, ist sie an sich lustvoll. Sie bedarf keiner Rechtfertigung, die über ihr bloßes Dasein hinausginge. So gesehen gibt es eine interessante Nähe zwischen Sinn und Sinnfreiheit.“ (S. 143-144)

Man kann Eagleton nicht vorwerfen, er würde nicht predigen, was er trinkt: Wir müssen uns Eagleton beim Abfassen seines Traktats als einen Menschen vorstellen, der sich lustvoll und ganz ohne Ernst einer vollkommen zweckfreien Tätigkeit hingegeben hat, die weder durch ihren praktischen Nutzen noch sonst irgendwie gerechtfertigt gewesen wäre, außer dadurch, dass daraus eben etwas entstanden ist, was wir gemeinhin als „Buch“ bezeichnen und – verkaufen.

Wenn wir Eagletons „Werk“ so aus der Metaebene betrachten, ergibt sich plötzlich eine interessante Nähe zwischen Sinn und Sinnfreiheit, die von ferne ein wenig an aristotelische Autofellatio erinnert – aber nur von ferne! Denn anders als der freie Mann der Antike ist der „Denker“ von heute eben den kapitalistischen Gesetzen des freien Markts unterworfen, und das zwingt ihn zum Versuch, „einen hochgeistigen Gegenstand so leicht und klar wie möglich abzuhandeln und ihn dennoch [sic!] ernst zu nehmen.“ (S. 9) Das Resultat möchte ich in Anlehnung an Eagleton ein existenziell sinnloses Werk nennen: Es ist „eine leere oder nichtige Farce. Es gibt zwar mancherlei Sinn, aber der ist trügerisch.“ (S. 62)

Immerhin eines ist Eagleton gelungen, wofür er sich selbst im Vorwort auf die Schulter klopft: „Immerhin kann ich beanspruchen, eines der wenigen Bücher über den Sinn des Lebens geschrieben zu haben, in denen die Geschichte von Bertrand Russell und dem Taxifahrer nicht vorkommt.“ (S. 9) – Wie? Er erzählt die Geschichte in der Fußnote zu diesem Satz? Nun denn: So ist ihm eben nichts gelungen.

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