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Philosophie Erkenntnistheorie

Was können Philosophen wissen? Ein Kurzessay über den Wissensbegriff anlässlich eines Buchs von Herbert Schnädelbach

In seinem 2012 erschienenen Buch „Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann“ gibt Herbert Schnädelbach eine inhaltlich und sprachlich äußerst dichte sowie offenkundig überaus belesene und gelehrte Darstellung dessen, was man seines Erachtens aus der Philosophiegeschichte lernen kann.

Ganz herausragend an dem Buch ist vor allem die gekonnte Komposition des Werkes: Die einzelnen Themengebiete werden nicht etwa einfach unzusammenhängend nebeneinander abgehandelt, sondern es wird ein ausgreifender und inhaltlich schlüssig aufeinander aufbauender Bogen gespannt, in dessen Verlauf er einige den aktuellen Diskurs prägenden Grundmelodien immer wieder anklingen lässt.

Die Zielgruppe dieses Buches ist mir nicht ganz klar geworden: Für ein philosophisches Laienpublikum wird der Text eine viel zu schwere Kost sein, während es für das philosophische Fachpublikum, das sich heutzutage meistens sehr detailliert mit ganz konkreten Problemstellungen beschäftigt, gezwungenermaßen viel zu sehr an der Oberfläche verbleibt.

Das soll allerdings kein Vorwurf sein – denn dieser Blogpost hat ebenfalls keine klar benennbare Zielgruppe. Für den philosophischen Laien wird er sich mit haarspalterischen Kleinigkeiten beschäftigen, während das philosophische Fachpublikum sich einen Dreck darum scheren wird, was ein kleiner Blogger über ein philosophisches Überblickswerk eines honorigen deutschen Philosophieprofessors zu sagen hat.

Die Standarddefinition des Wissensbegriffs

Was können Philosophen denn nun wissen? Dazu muss man als Philosoph erst einmal die Frage klären, was denn überhaupt unter „Wissen“ zu verstehen ist, was Schnädelbach im zweiten Kapitel des Buches auch tut. Er lässt sich dabei allerdings zu einer für mich äußerst erstaunlichen These hinreißen:

„In der Gegenwartsphilosophie ist es weitgehend unumstritten, Wissen als den Inbegriff wahrer, gerechtfertigter Überzeugungen aufzufassen.“ (S. 30)

Warum die Standarddefinition des Wissensbegriffs unzulänglich ist

Für den unbedarften Leser dürfte dieser Satz so klingen, als würde diese Erläuterung des Wissensbegriffs zum Wissensbestand der Philosophen zählen. Daher sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das Gegenteil der Fall ist: Spätestens seit dem extrem kurzen, aber enorm einflussreichen Aufsatz „Is Justified True Belief Knowledge?“ von Edmund Gettier ist es unter Philosophen eigentlich unumstritten, dass eine wahre gerechtfertigte Überzeugung nicht zwangsläufig Wissen darstellt.

Ironischerweise konnten Philosophen das sogar schon vor dem Aufsatz von Gettier wissen, da Bertrand Russell bereits vor Gettier ein Beispiel für eine wahre, gerechtfertigte Überzeugung gegeben hat, die kein Wissen darstellt. Leider habe ich keine Quelle zur Hand, aber das macht nichts, denn das instruktive Beispiel kann man sich sehr gut merken und lautet in etwa wie folgt:

Bob schaut auf seine Uhr, deren Zeiger auf 13.00 Uhr stehen. Er kommt daher zu der Überzeugung, dass es 13.00 Uhr ist. Tatsächlich ist es auch 13.00 Uhr, seine Überzeugung ist also wahr. Was Bob aber beim Blick auf seine Uhr nicht bemerkt hat, ist, dass seine Uhr stehen geblieben ist. Nun kommt Alice vorbei und fragt Bob nach der Uhrzeit. Bob antwortet: „Es ist 13 Uhr!“ Alice fragt: „Woher weißt du das?“ Bob antwortet: „Weil ich auf meine Uhr gesehen habe.“

Frage: Wusste Bob tatsächlich, dass es 13 Uhr ist? Er war definitiv überzeugt, dass es 13 Uhr ist. Diese Überzeugung war außerdem wahr. Schließlich war sie auch gerechtfertigt, da ein Blick auf die Uhr normalerweise die richtige Uhrzeit liefert. Aber trotzdem würden wir bestreiten, dass Bob tatsächlich gewusst hat, dass es 13 Uhr ist: Er hatte mit seiner Überzeugung in diesem konkreten Fall einfach tierisches Glück gehabt. Aber wenn das wirklich so ist, haben wir ein Gegenbeispiel dafür gefunden, dass Wissen in wahrer, gerechtfertigter Überzeugung besteht. Und meines Wissens ist sich die philosophische Fachwelt eigentlich ziemlich einig, dass das Gegenbeispiel schlagend ist.

Der heutige Konsens zum Wissensbegriff

Um das klar zu stellen: Das bedeutet nicht, dass Wissen etwas ganz anderes als wahre, gerechtfertigte Überzeugung ist! Im Gegenteil ist man sich – wiederum meines Wissens – ebenfalls ziemlich einig, dass nur dann von Wissen gesprochen werden kann, wenn es sich um wahre, gerechtfertigte Überzeugungen handelt.

Der Punkt von Russells (und Gettiers) Gegenbeispielen ist, dass es im Allgemeinen nicht ausreicht, dass unsere Überzeugungen wahr und gerechtfertigt sind: Es muss noch etwas zusätzlich hinzukommen, damit wir von Wissen sprechen können. Aber was dieses Zusätzliche ist; ob es überhaupt etwas Zusätzliches gibt, für das man keine Gegenbeispiele konstruieren kann; oder ob man nicht doch einen ganz anderen Zugang zum Wissensbegriff braucht als den der wahren gerechtfertigten Überzeugung – darüber streiten sich indes die Gelehrten…

Nun kann man natürlich sagen, dass es für ein Buch über den Bestand des philosophischen Wissens etwas misslich wäre, wenn man gleich zu Beginn konstatieren müsste, dass sich die Philosophen nicht einig sind, worin denn Wissen überhaupt besteht. Aber leider gehört diese missliche Lage der Epistemologie der Gegenwart nun einmal selbst zum Bestand des philosophischen Wissens, so paradox es auch klingen mag!

Aber selbst wenn man die Lage nicht ganz so misslich oder paradox darstellen will und muss: Die Aussage „Wissen ist wahre gerechtfertigte Überzeugung + X – was auch immer X heißen mag“ dürfte in der philosophischen Fachwelt deutlich konsensfähiger sein als die Aussage „Wissen ist wahre, gerechtfertigte Überzeugung“.

Vor diesem Hintergrund sollte man sich den folgenden Satz auf der Zunge zergehen lassen: „[W]enn sie [die Philosophie] sich in unserer durch Technik und Wissenschaft bestimmten Kultur auch als Wissenschaft behaupten will, wird ihr das nur dann gelingen, wenn sie sich an einem möglichst starken Wissensbegriff orientiert.“ (S. 30) Die Pointe ist: Gleich im darauffolgenden Satz lässt Schnädelbach das „+ X“ aus dem philosophischen Konsens weg – wir erinnern uns: „In der Gegenwartsphilosophie ist es weitgehend unumstritten, Wissen als den Inbegriff wahrer, gerechtfertigter Überzeugungen aufzufassen.“

Kann Wissen fehlbar sein?

Schnädelbachs vermeintliche Orientierung an einem starken Wissensbegriff wird noch zusätzlich dadurch konterkariert, dass er von einer prinzipiellen Fehlbarkeit unseres Wissens ausgeht (vgl. S. 14-16 oder auch S. 31; auf S. 32 spricht er gar von einem „Modell des falliblen Wissens“, ohne dabei genau zu sagen, was das für ein Modell sein soll). Das klingt erst einmal wie eine Binse: Schließlich gibt es genügend Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte, in der sich sicher geglaubtes Wissen als letztlich unhaltbar herausgestellt hat.

Wissen kann nicht fehlbar sein

Leider ist die These von der Fehlbarkeit des Wissens aber völlig unhaltbar, und zwar aus rein sprachlichen Gründen: Fehlbar können nur Menschen sein, aber keine Überzeugungen. Überzeugungen können wahr oder falsch sein, aber nicht fehlbar. Denn was soll es heißen, dass eine wahre Überzeugung fehlbar ist? Das ergibt offenbar überhaupt keinen Sinn – übrigens ebenso wenig wie die gegenteilige Aussage, dass eine falsche Überzeugung fehlbar ist. Aber wenn wir unterstellen, dass Wissen in wahrer, gerechtfertigter Überzeugung besteht, kann Wissen damit gar nicht fehlbar sein. Das können Philosophen wissen – übrigens ganz ohne zu wissen, was Wissen überhaupt ist!

Schnädelbachs fragwürdige Wissensdefinition

Nun kann man natürlich sagen, dass das eine bloße Spitzfindigkeit meinerseits ist: Natürlich ist nicht Wissen selbst fehlbar, sondern die Wissenschaft, oder – wenn ich noch spitzfindiger sein möchte – die Wissenschaftler. Das Problem an mangelnder Spitzfindigkeit ist aber, dass sich aus unklarer, um nicht zu sagen: falscher Verwendung von Sprache schnell falsche Folgerungen ergeben. Denn für Schnädelbach ist die Fehlbarkeit des Wissens nicht nur eine Nebensächlichkeit, sondern eine zentrale Einsicht, die ihn zu folgender Definition des philosophischen Wissensbegriffs führt:

„Philosophisches Wissen im fallibilistischen Sinn [!] liegt somit vor, wenn man zeigen kann, dass etwas aus logischen Konsistenzgründen nicht wahr sein kann, dass es ferner nicht wahr sein kann, weil es sich mit dem Korpus des bislang in seinem Wahrheitsanspruch nicht mit Gründen bestrittenen Wissens nicht verträgt, und wenn wir Grund haben, es auf der Basis dessen, was wir sonst noch wissen, für wahr zu halten.“ (S. 40)

Schnädelbachs Bedingungen für philosophisches Wissen

Schnädelbach nennt hier insgesamt drei Bedingungen, die jeweils hinreichend sein sollen, von philosophischem Wissen sprechen zu können. Ich werde diese Bedingungen im Folgenden einzeln durchgehen.

Bedingung 1

Bedingung 1: Wir wissen, dass etwas nicht wahr ist, wenn es aus logischen Konsistenzgründen nicht wahr sein kann.

Gegen diese Behauptung ist noch am wenigsten einzuwenden. Ein erster Einwand ergibt sich daraus, dass es in der Philosophiegeschichte dialektische Philosophen wie Hegel oder Adorno gegeben hat, die von der Existenz wahrer Widersprüche ausgegangen sind. Dabei hatten sie allerdings keinen Widerspruchsbegriff im Sinne der Logik im Sinn, insofern können wir dialektische Denker hier meinethalben beiseitelassen.

Ein weiterer Einwand ergibt sich aber aus der Existenz logischer Paradoxien, die immer noch ihrer Auflösung harren. Die bekannteste und hartnäckigste dieser Paradoxien ist der sogenannte Lügnersatz:

„Dieser Satz ist nicht wahr.“

Der Lügnersatz kann aus logischen Konsistenzgründen nicht wahr sein, denn aus seiner angenommenen Wahrheit folgt sofort seine Unwahrheit. Läge nun aber mit Schnädelbach tatsächlich das philosophische Wissen vor, dass der Lügnersatz nicht wahr ist, so würde der Lügnersatz gerade dadurch wahr werden – denn er sagt ja gerade aus, dass er nicht wahr ist. Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass der Lügnersatz damit sinnlos sein muss. Aber ein sinnloser Satz ist insbesondere nicht wahr – also wäre der Lügnersatz doch wahr – also wäre er nicht wahr – und so weiter…

Die Lügnerparadoxie harrt bis heute auf eine befriedigende Auflösung. Wie stark der Einwand ist, der sich aus solchen Paradoxien gegen Bedingung 1 ergibt, hängt davon ab, wie schwer solche Paradoxien zu nehmen sind. Der Leser möge dies selbst beurteilen.

Bedingung 2

Bedingung 2: Wir wissen, dass etwas nicht wahr sein kann, wenn es sich mit dem Korpus des bislang in seinem Wahrheitsanspruch nicht mit Gründen bestrittenen Wissens nicht verträgt.

Diese Bedingung ist entweder äußerst zweifelhaft oder völlig nichtssagend, wenn wir uns die Entwicklung wissenschaftlicher Revolutionen anschauen. In der Regel beginnt eine wissenschaftliche Revolution damit, dass ein Wissenschaftler eine These bzw. Theorie vorbringt und begründet, die sich mit dem Korpus des bislang in seinem Wahrheitsanspruch nicht mit Gründen bestrittenen Wissens nicht verträgt. Wenden wir Bedingung 2 auf diesen Vorgang an, so ergeben sich interpretatorisch zwei Möglichkeiten:

Interpretation 1: Wir wissen, dass die neue These des Wissenschaftlers nicht wahr sein kann, weil sie sich mit dem Korpus des bislang in seinem Wahrheitsanspruch nicht mit Gründen bestrittenen Wissens nicht verträgt.

Diese Interpretation ist offensichtlich äußerst zweifelhaft, weil wir dann rückblickend bspw. sagen müssten, dass die Menschen, die Kepler oder Galilei nicht geglaubt haben, gewusst hätten, dass die Erde sich nicht um die Sonne dreht, weil sich dies mit dem damals bestehenden Wissenskorpus nicht vertragen hat. Aber da Wissen ja in wahrer, gerechtfertigter Überzeugung besteht, kann das nicht sein – jedenfalls wenn wir unterstellen, dass sich die Erde in Wahrheit um die Sonne dreht. Betrachten wir daher

Interpretation 2: Wir wissen nicht, dass die neue These des Wissenschaftlers nicht wahr sein kann, denn: Da und insofern der Wissenschaftler seine neue These wissenschaftlich begründet, bestreitet er ipso facto mit (guten) Gründen gewisse Elemente des bestehenden Wissenskorpus, sodass Bedingung 2 auf diesen Vorgang nicht angewendet werden kann.

Ich denke, dass diese Interpretation die richtige sein muss. Leider ist sie aber gerade bezogen auf philosophisches Wissen ziemlich nichtssagend: Denn wie viele Philosophen bringen jemals völlig unbegründete Thesen vor, die sich mit dem bestehenden Wissenskorpus nicht vertragen? Auf die meisten philosophischen Thesen können wir Bedingung 2 nach dieser Interpretation also gar nicht anwenden, sie ist daher ziemlich nichtssagend.

Bedingung 3

Bedingung 3: Wir wissen, dass etwas wahr ist, wenn wir Grund haben, es auf der Basis dessen, was wir sonst noch wissen, für wahr zu halten.

Es ist wichtig festzustellen, dass Schnädelbach sich mit dieser Bedingung nolens volens von der zuvor vorgebrachten Analyse des Wissensbegriffs verabschiedet: Nach dieser Bedingung besteht Wissen nämlich nicht mehr in wahrer, gerechtfertigter Überzeugung – es reicht für Wissen vielmehr völlig aus, wenn man etwas gerechtfertigterweise für wahr hält, das heißt: Wenn man eine gerechtfertigte Überzeugung hat. Mit einer Orientierung an einem möglichst starken Wissensbegriff hat das nun wirklich gar nichts mehr zu tun – und mit einer Orientierung an unserem alltagssprachlichen Gebrauch des Wissensbegriffs im Übrigen auch nicht.

Fehlbares Wissen und das Gespenst des Skeptizismus

Der Grundfehler liegt wiederum darin, den Aspekt der Fehlbarkeit in den Wissensbegriff selbst integrieren zu wollen. Meines Erachtens liegt das Hauptmotiv für diesen Wunsch in einer Furcht vor dem Skeptizismus, der uns vor folgende Frage stellt: „Wenn alle Menschen und selbst die Wissenschaftler fehlbar sind: was wissen wir dann schon?“

Schnädelbach entscheidet sich angesichts dieser Nachfrage für die Flucht nach vorn, also für die These, dass das Wissen selbst bereits fehlbar ist. Es ist instruktiv, den entsprechenden Absatz ganz zu zitieren, weil es zunächst so aussieht, als würde Schnädelbach den richtigen Ausweg aus dem Skeptizismus finden, bis er sich plötzlich komplett in der These von der Fehlbarkeit des Wissens verrennt:

„Wenn es sich um Wissen handeln soll, ist es nicht erforderlich, ganz sicher zu sein, dass der als Wissen präsentierte Aussagesatz auch wirklich wahr ist; hier muss man Wissen und Gewissheit unterscheiden. Descartes‘ Ziel der Gewissheit der Wahrheit, dem auch noch Hegel nachstrebte, bedeutet eine Überlastung des Wissensbegriffs und beschwört das Gespenst des Skeptizismus, das uns weismachen möchte, wenn wir unseres Wissens nicht ganz gewiss wären, wüssten wir überhaupt nichts. Gewissheit ist ein subjektiver Zustand, Wissen hingegen ist wie Wahrheit ein Geltungsanspruch, den wir mit bestimmten Behauptungssätzen verbinden, und dabei können wir uns geirrt haben. Wissen ist fehlbar, aber das ist kein Grund, auf den Wissensbegriff zu verzichten. Dies begründet die Differenz zwischen Skeptizismus und Fallibilismus, die häufig übersehen wird.“

Eine Lösung des skeptischen Problems

Auch wenn Schnädelbach sich in seiner Wortwahl angesichts des Skeptizismus zu einem spöttischen Ton hinreißen lässt, legt der weitere Gedankenverlauf doch die Vermutung nahe, dass das ach so gruselige „Gespenst des Skeptizismus“ tatsächlich zu einer irrationalen Fluchtreaktion geführt hat. Gewissheit ist ein subjektiver Zustand – bis zu diesem Punkt bin ich mit Schnädelbach völlig auf einer Linie, und genau deshalb ist die Lösung des skeptischen Problems auch so einfach! Man sehe:

Wissen besteht in wahrer, gerechtfertigter Überzeugung (+ X – geschenkt!). Das Gespenst des Skeptizismus möchte uns weismachen: Wenn wir unseres Wissens nicht ganz gewiss wären, wüssten wir überhaupt nichts. Aber, und das sollte unsere Antwort an den Skeptiker sein: Wissen besteht nicht in wahrer, gerechtfertigter, felsenfester und über jeden Zweifel erhabener Überzeugung! Ich bin überzeugt, dass p, weil ich gute Gründe dafür habe – und wenn p wahr ist, dann weiß ich auch, dass p. Dazu muss ich nicht zusätzlich felsenfest und über jeden Zweifel erhaben überzeugt sein, dass p. Man kann mehr oder weniger überzeugt von etwas sein, und für Wissen reicht ein normaler Grad an Überzeugung völlig aus – alles andere bedeutet, wie Schnädelbach völlig richtig sagt, eine Überlastung des Wissensbegriffs!

Und wie bin ich auf diese Lösung gekommen? Nun, Schnädelbach gab doch schon die Richtung vor: Gewissheit ist ein subjektiver Zustand, und der wird vom Skeptiker für den Wissensbegriff gefordert. Fight or flight? Fight: Ich bin meiner Wissensbestände nicht gewiss, aber das brauche ich auch nicht zu sein – es reicht, wenn ich normal überzeugt bin, und zwischen normaler Überzeugung und absoluter Gewissheit liegen noch diverse Abstufungsgrade.

Bye, bye, Gespenst des Skeptizismus – hab‘ dich trotzdem lieb, und komm bald wieder!

Schnädelbachs Lösung des skeptischen Problems

Gegenüber dieser doch recht naheliegenden Reaktion auf die von Schnädelbach aufgeworfene Version des Skeptizismus fällt seine eigene Antwort erstaunlich verquast aus. „Wissen […] ist wie Wahrheit ein Geltungsanspruch, den wir mit bestimmten Behauptungssätzen verbinden […]“ – daran ist sicherlich folgendes richtig:

Indem ich einen Behauptungssatz p äußere, erhebe ich in der Regel implizit einen Geltungsanspruch auf Wahrheit dieses Satzes. Hat der Behauptungssatz insbesondere die Form „Ich weiß, dass p“, so könnte man sagen, dass ich mit diesem Satz zugleich einen Geltungsanspruch auf Wissen erhebe – nämlich einen Geltungsanspruch auf Wahrheit des Satzes „Ich weiß, dass p“.

Aber ohne es beweisen zu können bin ich mir ziemlich sicher, dass mir ein Satz wie „Wissen ist wie Wahrheit ein Geltungsanspruch, den wir mit bestimmten Behauptungssätzen verbinden“ in einer Philosophieklausur links und rechts um die Ohren gehauen worden wäre: Bloß weil wir in unseren Sprechakten implizit Geltungsansprüche auf Wahrheit unserer Äußerungen erheben, heißt das doch noch lange nicht, dass Wahrheit selbst ein Geltungsanspruch wäre – und gleiches gilt mutatis mutandis auch für Wissen.

Für den philosophischen Laien wird das wieder einmal wie Wortklauberei klingen – der Punkt ist aber, dass es gerade in der heutigen sprachanalytischen Philosophie bei diesen Wortklaubereien um das Ganze geht. Denn aus der Vermengung von Wissen bzw. Wahrheit mit dem sprechakttheoretischen Geltungsanspruch auf Wissen bzw. Wahrheit folgt bei Schnädelbach die These von der Fehlbarkeit des Wissens: Denn wie jeder weiß, können wir uns in unserem (sprechakttheoretischen!) Geltungsanspruch auf Wahrheit (bzw. Wissen) irren, und da Wissen und Wahrheit ja wie eben gesehen Geltungsansprüche sind, können wir uns in unserem Wissen irren, das heißt Wissen ist fehlbar.

Nun hat Schnädelbach nicht den Zwischensatz eingefügt, dass wir uns in unserem Wissen irren können, und das mit gutem Grund: Es ist Unsinn! Wenn ich gestern gewusst habe, dass ich noch 1000 € auf der Bank habe, dann kann ich nicht heute mit einem Blick auf meinen Kontostand feststellen, dass ich mich geirrt habe. Es ist vielmehr umgekehrt: Wenn ich heute mit einem Blick auf meinen Kontostand feststelle, dass ich nur 900 € auf der Bank habe, dann stelle ich damit (möglicherweise) fest, dass ich mich gestern geirrt habe: Ich habe gar nicht gewusst, dass ich noch 1000 € auf der Bank habe, sondern ich glaubte nur, ich hätte gewusst, dass ich noch 1000 € auf der Bank habe.

Wer dieses alltägliche Beispiel zu verwirrend findet, kann sich auch schamlos aus dem Fundus der Wissenschaftsgeschichte bedienen. Niemand würde sagen, dass die Menschen früher wussten, dass die Sonne sich um die Erde dreht; oder dass die Menschen früher wussten, dass Gesundheit und Krankheit von dem richtigen Mischverhältnis der vier Körpersäfte Blut, Schleim, Gelbe Galle und Schwarze Galle abhängt; oder dass die Menschen früher wussten, dass das Weltall vom Äther durchzogen ist.

Das Gespenst des Skeptizismus, reloaded

Doch horch, was kommt von draußen rein? „Buhuuuu,“ da ist es wieder, das Gespenst des Skeptizismus! Dunkel raunt es mich an: „Na, du kleines Licht im Weltraum? Woher willst du denn wissen, dass du dich nicht mitsamt der Erde im kosmischen Äther fortbewegst? Weißt du wirklich, dass es keinen Äther gibt – oder glaubst du es nur zu wissen? Buuhuuuuu!“

Ich habe das Gefühl, dass das Gespenst des Skeptizismus gekommen ist, um zu bleiben. Mit einem etwas enttäuschten Seufzer schlurfe ich in die Küche und setze uns einen Kaffee auf. Ist das ganze Argumentieren denn für die Katz‘? Warum kommt dieses Gespenst immer wieder? Und warum haben wir keinen Kuchen im Hause? Wie peinlich, ich hab‘ doch Besuch! Ist ja nicht so, dass ich ihn nicht eingeladen hätte: „Hab‘ dich lieb“, hab ich gesagt, und „komm bald wieder,“ hab ich gesagt. Ich und mein loses Mundwerk. Nun muss ich wohl damit leben: Ohne Instanz, die über Wahr und Falsch entscheidet, ohne absolute Gewissheit, bis an die Zähne bewaffnet allein mit stumpfen Argumenten, im ewigen Tal des Zweifels.

Weiß ich wirklich, dass es keinen Äther gibt?

Oder glaube ich nur zu wissen, dass es keinen Äther gibt?

Ja, was weiß denn ich!

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