In meinem letzten Blogeintrag bin ich einer Frage auf den Grund gegangen, die mich seit einiger Zeit beschäftigt: Womit soll ich meine Zeit verbringen? Ich habe festgestellt, dass am Grunde meiner Frage die Frage nach dem Sinn des Lebens steht: Wie soll ich meine Zeit verbringen, sodass ich ein sinnerfülltes Leben führe? Daraus ergibt sich natürlich die Folgefrage: Worin besteht ein sinnerfülltes Leben? Wenn ich diese Frage nicht kläre, komme ich offensichtlich nicht weiter mit meinem Versuch, meine Zeit möglichst sinnvoll zu nutzen.
In seinem Buch Finding Meaning in an Imperfect World (Oxford, 2017) vertritt Iddo Landau die These, dass es bei der Frage nach dem Sinn des Lebens vor allem um Werte geht. Ein Leben erscheint demnach sinnvoll, wenn es sich um Dinge dreht, die ich wertschätze – und ein Leben erscheint sinnlos, wenn ich vor allem Dinge tue, die für mich keinen Wert haben. Es gibt zwar konkurrierende Ansichten über den Sinn des Lebens, aber nehmen wir für heute diese These als Basis unserer Überlegungen.
Dann stellt sich natürlich die Folgefrage: Was sind für mich wertvolle Beschäftigungen? Ich formuliere die Frage bewusst persönlich – „für mich wertvoll“ –, weil ich mir nicht sicher bin, ob es so etwas wie „objektive Werte“ überhaupt gibt. Vielleicht sind Werte auch etwas Intersubjektives und von Menschen in gemeinsamem Tun Hervorgebrachtes. Aber das soll mich hier nicht weiter beschäftigen: Ich verfolge ein rein therapeutisches Ziel und kein genuin philosophisches. Ich möchte für mich herausfinden, was wertvolle Beschäftigungen sind.
Durchforste ich doch erst einmal meinen Alltag: Womit beschäftige ich mich denn im Allgemeinen, und halte ich diese Beschäftigungen für wertvoll? Nun, auf der einen Seite habe ich meine Familie und meinen Haushalt, um den ich mich kümmern muss. Ich kaufe ein, räume auf, putze die Küche, spiele mit meinen Kindern, und so weiter. Ich sehe zwar ein, dass das objektiv wertvolle Tätigkeiten sind, deren Verrichtung durchaus sinnvoll ist. Aber wenn ich ehrlich bin, muss ich einräumen, dass es mir persönlich nicht sonderlich wertvoll erscheint. Diese Tätigkeiten erfüllen mich nicht. Sie erlauben mir nicht, mich selbst zu entfalten. Das ist also schonmal ein Wert von mir: Selbstentfaltung.
Auf der anderen Seite steht meine Freizeit. Womit verbringe ich sie? Sehen wir ab vom mittlerweile fest eingeplanten Mittagsschlaf: Der ist mehr eine Notwendigkeit als eine wertvolle Tätigkeit. Davon abgesehen höre ich Musik, lese Bücher (zumeist philosophische Fachliteratur) und schreibe Texte. Sind das wertvolle Aktivitäten?
Musikhören ist mir mittlerweile zur zweiten Natur geworden: Ich kann eigentlich gar nicht mehr anders, als mich mit Musik zu beschäftigen. Meistens mache ich das eher nebenbei: Wenn ich aufräume, einkaufe, putze, und so weiter. Ich höre fast alle Genres, normalerweise entweder weithin anerkannte Klassiker oder gehypte Neuerscheinungen. Ich verlasse mich also in meinen Hörgewohnheiten meistens auf das Urteil einer großen Zahl von Musikbegeisterten – und zumeist bin ich damit ganz zufrieden.
Ich muss aber auch sagen, dass mich das Musikhören im Allgemeinen nicht mehr so erfüllt, wie es das zu Jugendzeiten getan hat. Aber das ist vermutlich der normale Lauf der Dinge. Wenn ich meine Bewertungsgewohnheiten auf rateyourmusic.com mit anderen Musikbegeisterten vergleiche, liege ich wohl im Normalbereich: Die meiste Musik, die ich höre, ist gut, aber nicht überragend.
Machen wir den Sterbebett-Test: Angenommen, ich liege im Sterbebett. Werde ich bereuen, so viel Zeit in Musik investiert zu haben? Hätte ich meine Zeit sinnvoller nutzen sollen? Mein jetziges Empfinden sagt: Nein! Musik war und ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, und die Zeit, die ich in das Aufstöbern neuer Musik gesteckt habe, hat sich alles in allem gelohnt. Musik ist also für mich eine wertvolle Ressource. Gut zu wissen!
Weiter zum nächsten Punkt: Wie steht es mit dem Lesen philosophischer Fachliteratur? Hier ist es für mich schwieriger, zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen. Meistens lese ich Bücher ein einziges Mal, und damit hat es sich. Das hat aber zur Folge, dass das meiste, was ich lese, dem Orkus des Vergessens anheimfällt: Ich weiß, dass ich gewisse Bücher gelesen habe, aber ich weiß nicht mehr, was ich da gelesen habe. Insofern scheint die Lektüre der meisten Bücher eher sinnlos gewesen zu sein.
Aber ich glaube, dass ich da einem Trugschluss erliege: Vielleicht ist es so, dass ich die besten Gedanken aus den Büchern aufnehme und in meine Überzeugungsstruktur einverleibe – ich bilde mich also zu einem belesenen Philosophen heran. Das ist jedenfalls die Hoffnung. Wozu wäre das gut? Nun, vermutlich dient es eher einem Selbstzweck: Ich bilde mich eben, und Bildung ist etwas Gutes. Man kann das natürlich hinterfragen, aber eigentlich würde ich das nicht tun. Ich halte Bildung für wertvoll um ihrer selbst willen.
Kommen wir zum letzten Punkt: Das Schreiben von Texten. Hier kommt vermutlich mein anderer Wert ins Spiel: Es gibt keinen anderen Bereich, in dem ich mich so sehr austoben und selbst entfalten kann, wie wenn ich am Rechner sitze und Sätze in den Laptop tippe. Insofern ist das Schreiben für mich ebenfalls ein Selbstzweck: Ich entfalte mich im Schreiben selbst, und Selbstentfaltung ist für mich etwas Gutes.
Damit soll nicht gesagt sein, dass ich nicht manchmal ins Zweifeln komme, im Gegenteil. Texte wie dieser zeugen davon, dass mir die Wert- und Sinnhaftigkeit meines Lebens keine selbstverständlichen Gegebenheiten sind. Ich muss mich im Gegenteil selbst davon überzeugen, dass das, was ich tue, sinnvoll ist. Für heute ist mir das ganz gut gelungen. Mal sehen, wie lange das anhält.