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Politik

Der Aufstieg der Protestparteien als Symptom eines Vertrauensverlusts

Ich möchte heute einen Text über Politik schreiben, fühle mich dabei aber ein wenig wie ein Hochstapler: Offen gestanden habe ich wenig Ahnung über das politische Geschehen; ich verfolge keine Nachrichten, lese keine Zeitung, bin nicht (mehr) auf X aktiv. Trotzdem juckt es mich in den Fingern, etwas über die politische Gesamtlage loszuwerden – und da Politik für alle da ist, macht es vielleicht nichts aus, wenn ich mich einfach daran versuche.

Das Phänomen, das es zu verstehen gilt, liegt auf der Hand: Überall in der westlichen Welt sind relativ neue, populistische, zumeist rechtsgerichtete Parteien auf dem Vormarsch. Der Erdrutschsieg von Donald Trump gegen Kamala Harris ist nur das jüngste Ereignis, das sich hier einordnen lässt. In anderen Ländern sieht es nicht anders aus: Denken wir nur an Geert Wilders in den Niederlanden, Marine Le Pen in Frankreich, oder natürlich die AfD (und neuerdings das BSW) in Deutschland. Wie erklärt sich das?

Vertrauensverlust in die etablierten Parteien

Ein Erfolgsfaktor der neuen populistischen Parteien liegt sicherlich darin, dass es in weiten Teilen der Bevölkerung einen massiven Vertrauensverlust in die etablierten Parteien gibt. Man traut den etablierten Parteien nicht nur nicht zu, die gegenwärtigen Probleme zu lösen: Man traut ihnen nicht mehr über den Weg. Zu viele Wahlversprechen wurden gebrochen; zu viele Skandale umgeben die bekanntesten Politiker. Ich möchte hier nicht einmal Beispiele nennen – ich behaupte, dass jeder Leser von selbst auf schlagende Beispiele kommt.

Wenn das tatsächlich so ist, muss ein verbreitetes Missverständnis ausgeräumt werden: Der Erfolg der populistischen Parteien liegt nicht darin begründet, dass ihre Wähler sich nicht für Politik interessieren. Im Gegenteil: Nur wer sich mit dem politischen Tagesgeschehen beschäftigt und so von den Skandalen und gebrochenen Wahlversprechen erfährt, kann sein Vertrauen in die etablierten Parteien verlieren.

Man kann unter den Wählern der populistischen Parteien zwei Personengruppen voneinander trennen. Die erste Gruppe ist die Gruppe der Protestwähler: Sie wählen die AfD (oder das BSW) nicht aus Überzeugung, sondern nach dem Ausschlussprinzip. Wenn man die etablierten Parteien nicht wählen kann, weil man ihren Politikern nicht traut, dann muss man eben eine neue Protestpartei wählen. Hierbei hilft es in gewisser Weise sogar, dass die anderen Parteien nicht mit der Protestpartei zusammenarbeiten wollen: Das zeigt, dass die Protestpartei eine wirkliche Alternative ist und nicht bloß alter Wein in neuen Schläuchen.

Die zweite Gruppe besteht aus denjenigen, die die AfD aus Überzeugung wählen. Für diese Gruppe – wie groß sie auch sein mag – gilt aber erst recht, dass sie über das politische Geschehen informiert ist. Anderenfalls wäre sie über die Positionen der AfD nicht im Bilde und könnte sie gar nicht aus Überzeugung wählen. Für beide Gruppen – Protestwähler wie Überzeugungstäter – gilt jedenfalls, dass man ihnen problemlos ein Mindestmaß an politischer Bildung unterstellen kann: Die AfD wählt man nicht einfach so, sondern aus Gründen.

Vertrauensverlust in die etablierten Massenmedien

Damit kommen wir zu einem weiteren Puzzlestück: Nicht nur die etablierten Altparteien, sondern auch die etablierten Massenmedien haben einen gehörigen Vertrauensverlust erlebt. Meines Erachtens liegt das unter anderem daran, dass sie sich zu sehr auf die Seite der sogenannten politischen Mitte geschlagen haben. Protestwähler der populistischen Parteien werden von ihnen mitunter von oben herab behandelt, als wären sie zu doof, die „Gefahr“ zu erkennen, die von den populistischen Parteien ausgeht.

Von oben herab möchte allerdings niemand behandelt werden – wer so mit einem umgeht, von dem wendet man sich ab. Hinzu kommt noch, dass hier zwei Wahrnehmungen aufeinanderprallen – schließlich kann der Protestwähler den Massenmedien mit gutem Grund entgegenhalten, sie seien zu doof, um zu erkennen, dass das Personal der etablierten Parteien sich durch ihre Skandale und gebrochenen Wahlversprechen unwählbar gemacht hat.

Der Vertrauensverlust als epistemische Krise

Dieser Vertrauensverlust in die etablierten Parteien und die Massenmedien führt allerdings direkt in eine epistemische Krise – denn woher sollen wir unsere Fakten über die Lage der Nation beziehen, wenn nicht aus dem Mund unserer Politiker oder den Massenmedien? Durch den politischen Zwang, trotzdem irgendwie informiert sein zu müssen, um eine wohlbegründete Wahlentscheidung zu treffen, entsteht eine Art Informationsvakuum, das sich seine eigene Füllung sucht – zum Beispiel in Form von Verschwörungstheorien.

Ein weit verbreitetes Missverständnis lautet, dass Verschwörungstheoretiker sich von der politischen Realität völlig abgekapselt haben und letztlich unter einer Form von Wahnvorstellungen leiden. Das verkennt allerdings völlig die Realität: Bekannte Verschwörungstheoretiker wie Alex Jones oder David Icke mögen mitunter abstruse Vorstellungen haben, aber sie sind in keiner Weise von der politischen Realität abgekapselt. Im Gegenteil: Sie haben insgesamt mehr Ahnung vom politischen Tagesgeschehen als der durchschnittliche Bürger. Sie deuten das Tagesgeschehen nur anders – und diese Deutung kann richtig oder falsch sein.

Daraus ergeben sich aber zwei Folgen. Erstens informieren sich Anhänger von Verschwörungstheorien bei Leuten, die sich im politischen Tagesgeschehen auskennen – sie bleiben also über ihre alternativen Medien durchaus up-to-date. Zweitens kommt es zu selbstverstärkenden Effekten im Hinblick auf die epistemische Vertrauenskrise: Das Vertrauen in die etablierten Medien nimmt ab, weil Verschwörungstheoretiker von ihnen als Idioten dargestellt werden, die sie nicht sind. In gleichem Maße nimmt das Vertrauen in die Verschwörungstheoretiker zu, weil sie trotz medial heftigsten Gegenwindes standhaft bei ihrer Meinung bleiben und dafür im Allgemeinen Gründe angeben – so etwas flößt Vertrauen ein.

Wie geht es weiter?

Wenn ich Recht habe, dass der Aufstieg der populistischen Protestparteien ein Symptom einer grundlegenden Vertrauenskrise ist, stellt sich die Frage: Wie lässt sich die Vertrauenskrise beheben? Nun, wie baut man verlorenes Vertrauen im zwischenmenschlichen Bereich wieder auf? Ich würde sagen, in drei Schritten. Erstens: Man erkennt seine eigene Schuld an der Vertrauenskrise an. Zweitens: Man gelobt Besserung. Drittens: Man zeigt durch sein Handeln, dass man es ernst meint.

Offen gestanden sehe ich weder von Seiten der Politik noch von Seiten der Medien auch nur erste Anzeichen dafür, dass sie das verlorene Vertrauen wiederherstellen wollen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie das Problem klar genug erkannt haben. Noch immer scheint es mehr darum zu gehen, die Protestwähler zu den „mündigen, informierten Bürgern“ erziehen zu wollen, die sie bereits sind. (Das zeigen Phrasen an wie die, man müsse die eigene Politik „besser erklären“.)

Ich halte es daher für ausgemacht, dass die Protestparteien weiter Aufwind erfahren, solange sie sich nicht selbst in Skandalen oder gebrochenen Wahlversprechen verheddern. Aber wer weiß: Vielleicht liege ich auch falsch und die etablierten politischen Kräfte hören bald auf, einen Teil der Bürger wie unwissende kleine Kinder zu behandeln. Ich glaube zwar nicht daran – aber man hat schon Pferde kotzen sehen.

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