Ein englisches Bonmot besagt, dass Schreiben über Musik so ist, wie zu Architektur zu tanzen – und ich komme mir mittlerweile tatsächlich ähnlich bescheuert dabei vor. Trotzdem wage ich mich aus zwei Gründen an diese zweifelhafte Tätigkeit heran. Zum einen liebe ich es, Rezensionen anderer Leute zu lesen; zum anderen neigt sich das Jahr dem Ende zu, was unter Musikfreunden der Beginn der Listensaison ist: Alle beschäftigen sich mit der Frage, was die besten Alben des Jahres 2024 gewesen sind – und so auch ich.
Die Überschrift dieses Blogeintrags reiht sich in das Genre der musikalischen Jahresrückblicke ein, sollte allerdings mit einem Augenzwinkern gelesen werden: Natürlich sind die folgenden 21 Alben nicht die besten Alben 2024, sondern lediglich die Alben, die mir am besten gefallen haben. Widerspruch und eigene Gegenlisten dürfen gerne im Kommentarbereich hinterlassen werden – ich liebe es nämlich, Listen anderer Leute zu lesen und so auf übersehene Schätze zu stoßen.
Kommen wir nun ohne weitere Umschweife zu meinen Lieblingsalben des Jahres 2024.
21. Taylor Swift: The Tortured Poets Department: The Anthology

Ich habe durchaus zwiespältige Gefühle dabei, die Liste meiner Lieblingsalben des Jahres mit Taylor Swifts aktuellem Album The Tortured Poets Department zu beginnen – und dann noch in der zweistündigen, viel zu langen Extended Edition. Und doch käme es mir wie eine Lüge vor, wenn ich verschweigen würde, dass mich dieses Album zu einem kleinen Swiftie gemacht hat. Vermutlich ist Taylor Swift meine meistgehörte Interpretin dieses Jahr – die Musik ist einfach so inoffensiv, dass man sie immer auflegen kann. Und einige Songs sind wirklich großartig, etwa „How did it end?“ oder „The Prophecy“.
Bevor jetzt aber jemand auf die Idee kommt, das Album aufgrund meiner Empfehlung zu hören, muss ich noch zwei Warnungen voran schicken. Erstens habe ich bewusst die Extended Version aufgenommen, weil die zweite Bonushälfte des Albums deutlich besser als die reguläre erste Hälfte des Albums ist. Zweitens ist selbst das Bonusalbum auf den ersten Eindruck ziemlich langweilig: Es gibt kaum Hits, alles ist sehr subtil und zurückhaltend arrangiert, und es braucht daher ein bisschen Zeit, sich in das Album einzufinden. Möchte man diese Zeit wirklich investieren, um am Ende mit einem guten Album belohnt zu werden? Das muss jeder selbst wissen. Ich hätte jedenfalls noch 20 bessere Alternativen parat, seine Zeit zu verbringen.
20. Chat Pile: Cool World

Chat Pile haben mit Cool World ihr zweites Album vorgelegt, das nahtlos dort anknüpft, wo ihr Debüt aufgehört hat: Es gibt störrischen, misanthropischen Noise Rock mit einem exzellenten Gitarrensound, der in den Eingeweiden wühlt und Narben aufreißt, von denen man nicht wusste, dass man sie hatte. Es gibt auf dem ganzen Album keine Ausreißer nach oben oder unten; es wütet auf einem konsistenten Niveau vor sich hin – dadurch wirken aber auch alle Songs etwas beliebig und austauschbar. Trotzdem: Wer den vielleicht größten Hit des Albums „Shame“ mag, wird mit Cool World vermutlich viel Freude (haha!) haben.
19. Defeated Sanity: Chronicles of Lunacy

Chronicles of Lunacy hat mit seinem Opener den vielleicht besten Songtitel des Jahres, den jeder Deutschsprechende sofort versteht: „Amputationsdrang“. Und die Musik hält, was der Name verspricht: Eine halbe Stunde lang setzt es ohne Atempause brutalen Death Metal voll auf die Umme. Herausstechendes Merkmal ist die metallisch scheppernde Tom, die mich ein bisschen an Metallicas St. Anger erinnert, sowie die für das Genre relativ variablen Vocals.
18. Opeth: The Last Will and Testament

Opeth sind eine absolute Metal-Legende, die nach einigen Ausflügen in den Progressive Rock in diesem Jahr mit ihrem vierzehnten Album wieder im Metal angekommen sind, oder genauer gesagt: Sie spielen Progressive Rock mit deutlich hörbaren Death Metal-Einflüssen. Ich muss zugeben: Progressive Rock ist insgesamt nicht so mein Fall, und Opeth sind es im Allgemeinen noch weniger. Um so erstaunlicher, dass mir dieses Album vielleicht sogar das Liebste von Opeth ist – was daran liegen dürfte, dass die Zusammenführung von Progressive Rock und Death Metal hier überaus spannend geraten ist. Besonders gefällt mir das variable Umschalten der Vocals zwischen cleanem Gesang und perfektem Death Metal-Gegrowle. Vielleicht muss ich mich auch nochmal an die alten Alben von Opeth heranwagen. Es könnte sich für mich lohnen.
17. Magdalena Bay: Imaginal Disk

Auf meiner wichtigsten Musikressource rateyourmusic.com ist dieses Album das Bestbewertete des Jahres – und wenn ich Songs wie „Image“ oder „Death and Romance“ höre, bin ich beinahe an Bord: Das ist Popmusik nah an der Perfektion. Leider kommen die anderen Songs für mich aber an diese beiden Überhits nicht dran – und ich habe es wahrlich versucht. Ich weiß nicht, vielleicht zündet das Album bei mir noch. So bleibt für mich unterm Strich ein durchaus gutes, aber nicht herausragendes Album.
16. The Hellp: LL

The Hellp schaffen mit ihrem Major Label-Debüt den schwierigen Spagat, einerseits eine gewisse Nostalgie an meine Adoleszenz zu wecken, andererseits aber ganz auf der Höhe der Zeit zu klingen. Vieles erinnert an Electroclash aus den 00er Jahren, ist aber soundtechnisch ganz auf 20er Hochglanz poliert und hat einige glitchige Ecken und Kanten, die man damals noch nicht eingebaut hätte. Ein vielversprechendes Debüt von einer Band, von der man hoffentlich noch mehr hören wird.
15. Spectral Wound: Songs of Blood and Mire

Black Metal war eigentlich meine Einstiegsdroge in die harte Musik, welche, wie man sieht, mittlerweile einen großen Teil meiner Hörgewohnheiten ausmacht. Die letzten Black Metal-Alben, die ich mir so angehört habe, hatten aber einen großen Nachteil: Für mich klangen sie alle irgendwie gleich. Es fehlte mir ein Act mit Alleinstellungsmerkmal; mit einer besonderen Note. Vorhang auf für Spectral Wound: So viel Schweinerock steckte noch nie im Black Metal. Hier wird nicht die Sinnlosigkeit des Daseins vertont, sondern es werden Hits für den Moshpit geschrieben. Eine gelungene Adrenalinspritze für ein etwas schal gewordenes Genre – man darf gespannt sein, ob es Nachahmer geben wird.
14. Colin Stetson: The Love It Took to Leave You

Colin Stetson ist ein Saxophonist, den ich 2011 mit seinem fantastischen Album New History Warfare Vol. 2: Judges kennengelernt und anschließend ein wenig aus den Augen verloren habe. Auch auf seinem neuesten Album gelingt es Stetson, mit minimalen Mitteln – nämlich nichts anderem als einem Saxophon – maximale Ergebnisse zu erzielen. Schon beim Opener „The Love It Took To Leave You“ entfaltet die Musik einen solchen atmosphärischen Sog, dass man alles stehen und liegen lassen und einfach nur den betörenden Klängen zuhören möchte. Wenn man dem Album einen Vorwurf machen möchte, dann den, dass es etwas zu lang geraten ist: 70 Minuten sind dann doch etwas zu viel des Guten, und der monströse 20-minütige Hammer „Strike Your Forge and Grin“ leistet für meine Begriffe zu wenig, um seine extreme Laufzeit zu rechtfertigen. Trotzdem: Ein sehr erfreuliches Wiederhören, das Lust macht, sich in den Backkatalog reinzuhören.
12. Geordie Greep: The New Sound

Geordie Greep ist der Ex-Sänger der mittlerweile aufgelösten Band black midi, und mit seinem Album The New Sound macht er einfach da weiter, wo er mit black midi aufgehört hat: Abgedrehte, progressive, jazzige Rockmusik, nicht mehr ganz so hart wie mit black midi, dafür aber umso ausufernder. Jetzt schon legendär ist sein Musikvideo zu „Holy Holy“, in dem er tanzend und singend einen Bowling-Strike nach dem nächsten aufs Parkett legt. Respekt mein Lieber: Geil abgeliefert!
12. Replicant: Infinite Mortality

2024 war das Jahr, in dem ich mit wehendem Fahnen vom Black Metal-Camp ins Death Metal-Camp gewechselt bin. Dass Infinite Mortality in meiner Liste so weit oben gelandet ist, macht das deutlich: Nach meinem Empfinden machen Replicant hier nämlich nichts Besonderes; sie erfinden weder das Rad neu, noch entdecken sie das Feuer. Sie spielen einfach dissonanten Death Metal mit einem exzellenten Sound – und das machen sie richtig gut. Wenn das reicht, um bei mir oben zu landen, dann muss ich wohl ein Fan des Genres geworden sein.
11. Vampire Weekend: Only God Was Above Us

Mit Vampire Weekend und mir ist es schon komisch: Ich denke immer, dass ich der Musik (Indie Rock) ein wenig entwachsen bin; aber wenn ein neues Album kommt, landet es dann doch wieder weit oben auf meinen Jahresendlisten. Only God Was Above Us ist wieder unverwechselbar Vampire Weekend, ein bisschen krachiger als sonst, aber immer noch die gewohnt eingängige Qualitätsware.
10. Xiu Xiu: 13” Frank Beltrame Italian Stiletto With Bison Horn Grips

Auf Xiu Xiu bin ich 2004 über ihren absolut fantastischen Indie Rock-Song „I Luv the Valley OH“ gestoßen, aber das zugehörige Album Fabulous Muscles war mir dann doch eine Spur zu intensiv, zu unangenehm, zu nervenzerrend, sodass ich die Band danach aus den Augen verloren habe. Ihr diesjähriges Album mit dem seltsam bescheuerten Titel habe ich mir dann mal wieder angehört und es hat mich deutlich mehr angesprochen: Die Musik ist viel eingängiger und geht nicht so unter die Haut wie Fabulous Muscles. Ein sehr gutes, experimentelles Rock-Album.
9. Adrianne Lenker: Bright Future

Adrianne Lenker ist hauptberuflich Sängerin der Indie-Band Big Thief, bringt aber nebenbei immer mal wieder Solo-Alben heraus, wie auch in diesem Jahr. Und es ist, wie es ist: Sie scheint einfach keine schlechten Songs schreiben zu können – und nicht nur das: Mit „Free Treasure“ hat sie in meinen Augen auch für das beste Liebeslied des Jahres gesorgt. Ein wunderschönes Singer-Songwriter-Album mit Herz und Substanz.
8. Charli XCX: Brat

Charli XCX flog lange Zeit eher unter dem Mainstream-Radar her, konnte sich aber mit ihrer zukunftsweisenden und experimentellen Popmusik im Laufe der Jahre eine treue Fangemeinde erspielen. Mit Brat gelang ihr in diesem Jahr endgültig der Durchbruch, und das zu Recht: Hier reiht sich wirklich Hit an Hit, und auch wenn es vielleicht sogar nur mein viertliebstes Charli-Album ist, reicht es in diesem Jahr immer noch für den Titel des Pop-Album des Jahres, und „Von Dutch“ erhält den Titel des Pop-Songs des Jahres. Einfach ein arschcooler Banger vor dem Herrn.
7. King Gizzard & The Lizard Wizard: Live at the Anthem, Washington D.C. (8/15/24)

Dieses Live-Album steht stellvertretend für die 37 (siebenunddreißig!!!) Live-Alben, die die umtriebigen Australier King Gizzard & The Lizard Wizard in diesem Jahr (bisher…) veröffentlicht haben und einmal mehr unterstreichen, was für eine herausragende Live-Band sie doch sind: Kein Konzert gleicht dem anderen und jedes bietet ein wildes Potpourri aus ihrem gesamten Schaffen, das mittlerweile auch schon 27 Alben umfasst. Es gibt wohl keine andere Band derzeit, die mir mehr Freude daran bereitet, ein Fan von ihr zu sein. Alle Live-Alben findet man hier.
6. Prezident & Drunkn Masters: Rabatz

2024 war aus meiner Sicht kein gutes Jahr für Hip Hop; die meisten Alben dieses Genres haben mir dieses Jahr eher ein müdes Gähnen entlockt. Mein Lieblings-Deutschrapper Prezident hat mit Rabatz dann aber am Ende dieses Jahres doch noch ein Highlight rausgehauen, das in erfrischend knappen 36 Minuten sagt, was es zu sagen hat, und sich dann wieder verpisst. Jeder Beat sitzt, jede Line ein Treffer, und selbst die Skits sind herausragend gewählt. Auch wenn ich es nicht sofort gemerkt habe: Bei diesem Album passt einfach alles. Nichts Originelles, aber einfach gut gemachter Hip Hop.
5. death’s dynamic shroud.wmv & Galen Tipton: You Like Music

You Like Music? Of course I do! Dieser Album gewordene ADHS-Fiebertraum räumt zu Recht den Titel des besten Elektro-Albums des Jahres ab – sowas abgedreht-wildes wie die Leadsingle „Generate Utopia“ habe ich meinen Lebtag noch nicht gehört. Ein wirklich starkes Album, das aber zugegebenermaßen ähnlich starke Nerven benötigt, damit man von ihm nicht völlig aufgekratzt wird. So muss ein Zuckerschock klingen.
4. Pyrrhon: Exhaust

Pyrrhon holen sich mit dem Eröffnungsriff von “Not Going to Mars” den Titel für das beste Gitarrenriff des Jahres ab: Ich weiß nicht, wie es kommt, aber diese paar Töne im Zusammenspiel mit dem gnadenlosen Blastbeat kitzeln passgenau an meinen Glückshormon-Synapsen und zaubern mir regelmäßig ein blödes Grinsen ins Gesicht. Die Platte als Ganzes kann dieses extrem hohe Niveau nicht immer ganz halten – aber Pyrrhon pfeffern einem in einer guten Dreiviertelstunde so viele Ideen um die Ohren, dass es nicht weiter schlimm ist, wenn nicht jede verfängt. Wer harte Musik mag, sollte Pyrrhon auf jeden Fall einmal ein Ohr leihen.
3. Blood Incantation: Absolute Elsewhere

Absolute Elsewhere füllt eine Lücke, von der man noch nicht wusste, dass es sie gibt: Wer ist bitte auf die wahnsinnige Idee gekommen, klassischen Death Metal mit progressiven Synthieflächen der Berliner Schule zu paaren? Blood Incantation gelingt es jedenfalls spielend, mit ihren zwei 20-minütigen Brettern immer wieder Genregrenzen zu überschreiten und dem verblüfften Hörer neue Ideen vor den Latz zu knallen, die alle, aber auch wirklich alle funktionieren. Ein absolutes Meisterwerk und für mich das Metal-Album des Jahres.
2. Maruja: Connla’s Well

Connla’s Well ist nur eine EP, aber ich musste sie alleine deshalb in diese Liste aufnehmen, weil sie meinen persönlichen Song des Jahres enthält: „The Invisible Man“. Wenn man dann noch bedenkt, dass der Rest der EP das Niveau dieses Songs halten kann, wird man verstehen, warum ich es kaum abwarten kann, bis Maruja endlich ihr erstes Album vorlegen. Ich wage zu behaupten: Wer auch nur eines der Genres Post Rock oder Post Punk mag, wird an dieser Band in Zukunft nicht vorbeikommen.
1. Mount Eerie: Night Palace

Ich muss ein Geständnis ablegen: Für gewöhnlich hasse ich lange Alben. 40 Minuten sind für mich der Sweet Spot – alles, was darüber liegt, überfordert meistens mein Aufmerksamkeitsvermögen. Am schlimmsten sind für mich Doppelalben – nur selten habe ich Zeit, Lust und Muße, mich 80 Minuten lang auf einen Künstler und sein Projekt einzulassen. Entsprechend nervös war ich, als einer meiner Lieblingskünstler nach vier Jahren Funkstille ein Doppelalbum mit sage und schreibe 26 Songs angekündigt hat. Hat er sich in seinen Ideen verzettelt? Werde ich ihm folgen können?
Im Nachhinein war meine Sorge unbegründet: Phil Elverum alias Mount Eerie hat es wieder geschafft und mit Night Palace einen neuerlichen Meilenstein abgeliefert. Es gelingt ihm, über die Albumlaufzeit gleichsam eine Art Panorama seines bisherigen Schaffens zu entfalten, in dessen einzelnen Momenten man gerne verweilt, sodass die 80 Minuten wie im Nu verstreichen.
Allerdings muss ich für Novizen eine Warnung aussprechen: Wer Mount Eerie bzw. Phil Elverum für sich entdecken möchte, sollte nicht mit diesem Album starten, sondern mit seinem Schaffen unter dem Alias The Microphones. Und dann am besten chronologisch Schritt für Schritt, Album für Album erschließen, um dann am Ende mit Night Palace den bisher krönenden Abschluss seines Werks genießen zu können.
Das war mein musikalisches Jahr 2024. Insgesamt aus meiner Sicht ein wirklich exzellenter Jahrgang: Selten gab es so viele Alben, die mich so entzückt haben wie in diesem Jahr. Ich bin gespannt, wie viele Alben ich durch die Lektüre anderer Listen noch für mich entdecken werde – und wie veraltet meine Liste im neuen Jahr dann aussehen wird…