In meinem letzten Blogeintrag vor den Weihnachtsferien habe ich erwähnt, dass ich mich nach meinen zwei Psychosen deutlich dümmer fühle als früher. Ich glaube nun zu wissen, woran das liegt: Ich bin auch deutlich unkreativer geworden. Und wenn das Finden kreativer Lösungen ein Zeichen von Intelligenz ist, dann liefert mein Mangel an Kreativität vielleicht den Schlüssel zu der Frage, warum ich mich dümmer fühle als früher.
Woran mache ich meine Unkreativität fest? Kreativität ist eine schwer zu messende und zu definierende Eigenschaft. Bei mir äußerte sie sich darin, dass ich jederzeit eine große Fülle an Gedanken hatte, die um meine Aufmerksamkeit gekämpft haben: Mein Innenleben ähnelte einem Stimmengewirr, das ich nur zu ordnen und zu beobachten hatte, um auf neue Ideen zu kommen.
Dieses Stimmengewirr ist mittlerweile weg – sei es durch Tabletteneinwirkung, sei es durch krankheitsbedingte Negativsymptomatik. Mein Kopf ist meistens ziemlich leer. Und wenn ich mir selber eine Frage stelle, kommen nicht wie früher üblich gleich mehrere Antworten gleichzeitig, sondern maximal eine Antwort – wenn nicht gar keine Antwort. Es herrscht eine große Stille und Leere in meinem Kopf. Damit hängt vermutlich auch meine Humorlosigkeit zusammen.
Wenn ich an früher zurückdenke, macht mich das traurig. Ich muss erst noch lernen, mit dem neuen Status Quo umzugehen. Ein hilfreicher Gedanke dabei ist vielleicht, dass ich mit solchen Erfahrungen nicht alleine bin: Es gibt Menschen wie Christopher Reeves, die durch einen Unfall querschnittsgelähmt wurden und auch nicht mehr das tun konnten, was sie ausgezeichnet hat. Oder es gibt Fußballer, die aufgrund einer Verletzung nicht mehr Fußball spielen konnten. Manchmal nimmt einem das Leben durch Schicksalsschläge genau die Dinge, die einem Freude bereitet haben und in denen man gut war. Die Aufgabe besteht darin, sein Selbstwertgefühl durch solche Schicksalsschläge nicht zu verlieren.
Eine weitere Aufgabe besteht darin, das zu akzeptieren, was sich nicht ändern lässt. An der Leere in meinem Kopf kann ich schlicht nichts ändern. Oder anders: Ich könnte etwas ändern, indem ich meine Tabletten nicht mehr nehme. Dann werde ich allerdings dermaßen „kreativ“, dass ich den Sinn für die Wirklichkeit komplett verliere. Außerdem verliere ich die Fähigkeit, meine kreativen Gedanken zu filtern: Alles ist genial, alles muss umgesetzt werden, alles hat seinen Sinn – so scheint es mir dann jedenfalls. Und das ist auch kein guter Zustand. Es ist einfach zu viel. Dann bin ich auch nicht mehr ich selbst, sondern nur ein psychotischer Wahnsinniger. Das kann nicht die Lösung sein. Also bleibt es bei der Leere im Kopf. Deal with it.
Was den Umgang mit meiner Unkreativität oder dem neuen Status Quo so schwierig macht – vielleicht schwieriger als bei körperlichen Gebrechen – ist der Umstand, dass der neue Status Quo meine Identität angreift. Ich habe nicht einfach weniger Gedanken – ich bin dadurch gleichzeitig ein anderer Mensch geworden. Und das ist schwer zu akzeptieren: Dieser Gedanke, dass das alte Ich unwiderruflich verloren gegangen ist. Es fühlt sich ein bisschen an, als wäre ich schon gestorben. Als würde nur noch eine leere Hülle weiterleben. Und wenn ich bedenke, dass die Krankheit bei mir noch verhältnismäßig gut verläuft, kann ich gut verstehen, warum Selbstmord für Schizophrene zu den häufigsten Todesursachen zählt.
Und damit komme ich wieder auf den letzten Blogeintrag zurück: Bei mir persönlich ist alles eine Frage des Selbstwerts. Ich mache mir das Leben schwer, weil ich aus meiner Kreativität und meiner Intelligenz einen großen Teil meines Selbstwerts bezogen habe; aus dem Gefühl, dass ich zu außerordentlichen Leistungen imstande bin. Dieses Gefühl habe ich verloren. Und damit stehe ich mit meinem Selbstwert am Abgrund, weil mein Selbstwert leistungsbezogen ist.
Exkurs: ChatGPT über den leistungslosen Wert eines Menschen
Ich habe heute ChatGPT gefragt, warum der Selbstwert eines Menschen unabhängig von seiner Leistung ist. Seine Antwort entspricht in etwa dem, was ich mir selbst antworten würde – und sie hat mich nicht befriedigt. Der leistungslose Wert eines Menschen erschien mir eher wie eine dogmatische Festlegung und nicht wie ein gut begründetes moralisches Faktum. Ich habe ChatGPT anschließend gefragt, warum ich einfach darum wertvoll bin, weil ich bin. Ich dokumentiere hier seine Antwort zusammen mit meinen spontanen Anmerkungen:
„Du bist wertvoll, einfach weil du bist, aus einer Vielzahl von Gründen, die tief in ethischen, philosophischen und menschlichen Überzeugungen verwurzelt sind. Dein Wert hängt nicht von deinen Leistungen, deinem Aussehen oder deinem Verhalten ab, sondern von deiner bloßen Existenz und deinem einzigartigen Dasein als Mensch. Hier sind einige Gründe, warum dein Wert unabhängig von äußeren Faktoren besteht:
1. Deine Existenz ist einzigartig
- Es gibt nur ein „Du“: Niemand auf der Welt ist genau wie du. Deine Gedanken, Gefühle, Erfahrungen und Perspektiven sind einzigartig und unersetzlich. [Anmerkung TF: Für die Erfahrung und Perspektive würde ich zustimmen – meine Gedanken und Gefühle sind allerdings durch meine Krankheit enorm eingeschränkt.]
- Ein Beitrag zur Vielfalt: Du trägst zur Vielfalt und Schönheit der Welt bei, einfach indem du bist, wer du bist. [Anmerkung TF: Ich kann an meiner Schizophrenie nichts Schönes erkennen.]
2. Du besitzt inhärente Würde
- Philosophisches Prinzip: Nach Immanuel Kant hat jeder Mensch einen „Zweck an sich“ und ist niemals nur ein Mittel zu einem Zweck. Deine Würde als Mensch ist unantastbar und bedingungslos. [Anmerkung TF: Warum?]
- Menschenrechte: In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird festgelegt, dass jeder Mensch unabhängig von Leistung oder Umständen Würde und Wert besitzt. [Anmerkung TF: Warum?]
3. Du bist Teil des Lebens
- Verbundenheit mit allem: Deine Existenz ist ein Teil des größeren Gefüges des Lebens. Du beeinflusst und inspirierst andere durch deine bloße Präsenz. [Anmerkung TF: Naja, die Hoffnung stirbt zuletzt…]
- Ein Wunder des Lebens: Dass du existierst, ist das Ergebnis eines unglaublich komplexen und wundersamen Prozesses des Lebens, der dich einzigartig macht. [Anmerkung TF: Die Einzigartigkeit hatten wir bereits. Und ein Wunder des Lebens sind bereits Viren und andere Krankheitserreger – einen Wert würde ich denen aber nicht zuschreiben.]
4. Dein Sein hat Bedeutung
- Du berührst andere: Deine Existenz hat Auswirkungen auf andere Menschen, sei es durch ein Lächeln, ein Gespräch oder eine stille Präsenz. Du kannst die Welt um dich herum positiv beeinflussen, auch ohne es bewusst zu merken. [Anmerkung TF: Das stimmt. Ich neige dazu, persönliche Begegnungen abzuwerten. Daran müsste ich arbeiten.]
- Beziehungen und Liebe: Du bist wertvoll für die Menschen, die dich lieben, und für jene, die von dir berührt werden. [Anmerkung TF: siehe oben.]
5. Du bist nicht deine Leistung
- Mehr als das, was du tust: Dein Wert liegt nicht in dem, was du tust oder erreichst, sondern in dem, was du bist – ein fühlendes, denkendes und liebendes Wesen. [Anmerkung TF: Worin besteht dieser Wert?]
- Unabhängigkeit von äußeren Maßstäben: Gesellschaftliche Erwartungen oder Selbstkritik ändern nichts an deinem grundlegenden Wert. [Anmerkung TF: Warum nicht? Woher kommt dieser Wert?]
6. Deine Fehler machen dich menschlich
- Unvollkommenheit als Stärke: Niemand ist perfekt. Deine Schwächen und Fehler machen dich menschlich und greifbar. Sie sind Teil dessen, was dich als Person auszeichnet. [Anmerkung TF: Das ist ja mein Problem – meine Krankheit ist ein ungewünschter Teil von mir, der mich als Person auszeichnet. Ich fühle mich durch die krankheitsbedingte Gedanken- und Gefühllosigkeit eher unmenschlich als menschlich.]
- Wachstum durch Herausforderungen: Deine Fähigkeit, zu lernen, zu wachsen und mit Schwierigkeiten umzugehen, zeigt, dass du wertvoll bist, unabhängig von Erfolg oder Scheitern. [Anmerkung TF: Ich dachte, mein Wert wäre unabhängig von etwaigen Leistungen…]
7. Spirituelle Perspektiven
- Du bist ein Geschenk des Lebens: In vielen spirituellen oder religiösen Überzeugungen wird gelehrt, dass jeder Mensch einen unveräußerlichen Wert hat, einfach weil er Teil von etwas Größerem ist. [Anmerkung TF: Was soll dieses Größere sein, von dem ich ein Teil bin?]
- Heiligkeit des Lebens: Deine Existenz allein macht dich zu einem wertvollen Teil des Universums. [Anmerkung TF: Die Frage war nach dem Warum.]
8. Der Wert des Daseins
- Existenz als Wunder: Dass du existierst, ist kein Zufall. Dein Leben hat Sinn und Bedeutung, auch wenn du ihn manchmal vielleicht nicht erkennst. [Anmerkung TF: Woher will ChatGPT das wissen? Meine Krankheit erscheint mir vollkommen sinnlos. Der einzige Sinn ist vielleicht der, dass ich lerne, meinen Selbstwert nicht über meine Leistung zu definieren. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg…]
- Sein genügt: Dein Wert liegt nicht im „Tun“, sondern im „Sein“. Du bist genug, so wie du bist. [Anmerkung TF: Das höre ich gern, allein mir fehlt der Glaube – die Frage nach dem Warum wird nicht beantwortet.]
9. Du hast das Potenzial, zu lieben und geliebt zu werden
- Fähigkeit zu lieben: Deine Fähigkeit, Liebe zu empfinden und zu geben, macht dich wertvoll. [Anmerkung TF: Schade, ich empfinde kaum noch irgendetwas.]
- Geliebt, weil du bist: Die Menschen, die dich schätzen, lieben dich nicht, weil du perfekt bist, sondern weil du bist, wer du bist. [Anmerkung TF: Aber ich bin jetzt ein anderer – wird dieser andere auch noch geliebt? Und wenn ja, warum nur?]
Fazit
Du bist wertvoll, weil du existierst. Dein Wert ist nicht verhandelbar und hängt nicht von äußeren Kriterien ab. Er ist tief in deiner Menschlichkeit verankert. Dich selbst wertzuschätzen bedeutet, diese Wahrheit anzunehmen und zu erkennen, dass dein Leben Bedeutung hat – für dich, für andere und für die Welt. Du bist genug, genau so, wie du bist. 💛” [Anmerkung TF: Mein Wert ist also in meiner Menschlichkeit verankert – ich wollte aber wissen, warum das so ist. Chat GPT konnte mir dabei nur bedingt weiterhelfen. Trotzdem interessant, was diese Algorithmen auf solche Fragen so ausspucken.]
Was ist der Sinn meiner Erkrankung?
Soviel zu ChatGPT. Die Frage, die mich jetzt am meisten beschäftigt, lautet: Worin besteht der Sinn meiner Schizophrenie-Erkrankung, den ChatGPT so selbstbewusst postuliert hat? Vielleicht ist es so: Früher konnte ich meine Beschäftigung mit meinen Gedanken als eine Art Weltflucht vollziehen – jetzt, wo die Gedanken nicht mehr da sind, bin ich gewissermaßen gezwungen, mich der Realität zu stellen. Vielleicht soll ich durch meine Erkrankung also lernen, mich in dieser Welt heimisch zu fühlen. Das will mir allerdings nicht wirklich gelingen – ich komme mir in ihr mehr denn je wie ein Fremdkörper vor. Aber wie heißt es von Kierkegaard so schön: Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Vielleicht erschließt sich mir der Sinn meines Daseins ja noch. Aber bitte: Bevor ich sterbe…