Horrorfilme sind ein äußerst denkwürdiges Phänomen. Menschen bezahlen gutes Geld, um sich von fiktiven Ereignissen auf einem Bildschirm das Fürchten lehren zu lassen. Man kann natürlich sagen, dass solche Filme einfach der Unterhaltung dienen. Aber was ist unterhaltsam daran?
In dem Song “The Show” ihres Albums “There Existed an Addiction to Blood” werfen clipping. indirekt ebenfalls diese Frage auf. “The Show” schildert in eindrücklichem Detail von der Folterung und Tötung eines Mannes. In einem Folterporno würde der Horror dadurch entstehen, dass man sich in die Lage des gefolterten Mannes versetzt. Aber clipping. vertonen keinen Horrorporno. Sie sprechen dich direkt an: “You all paid to watch, let’s start the show. Come out, sit your ass down, don’t blink. Don’t make a sound, just look. It’s okay to cry, you live your best life when you watch them die.” Der Horror besteht nicht darin, dass du gefoltert werden könntest. Er besteht darin, dass du zusehen würdest.
Dies ist nicht die einzige Inversion, die sich clipping. erlauben. Sie haben es sich vielmehr seit ihrer Gründung zur bewussten Aufgabe gemacht, etablierte Regeln des Hip Hop einfach auszuhebeln. Bereits auf ihrem ersten Mixtape „midcity“ hielten sie sich streng an gewisse selbst auferlegte Regeln: Keine Drums. Keine Melodien. Keine Harmonien. Keine Ich-Perspektive.
Letztere Regel führte denn auch zum Titel ihres ersten veröffentlichten Albums auf Sub Pop: „CLPPNG“ Dort weichte man die Regeln wieder etwas auf, aber von konventionellem Hip Hop war das immer noch meilenweit entfernt. Der Beat auf dem Track „Get Up“ besteht etwa in nichts weiter als einem modulierten Elektrowecker. Wie stark kann ein Beat reduziert sein, um überhaupt darüber rappen zu können? Oder kann man den Prozess auch umkehren? Kann der Rap selbst den Beat erzeugen?
Mit dieser Frage landen wir wieder bei „There Existed an Addiction to Blood“. Die meisten Beats auf diesem Album haben keine Drums, wenig Melodie, eher an Drone gemahnende Soundflächen und präzise gesetzte Noise-Ausbrüche. Hier und da wiederholt ein Klavier einen bedrohlichen Ton – aber die Hauptrolle spielt das Klavier nur im letzten Track „Burning Piano“, in dem man 18 Minuten lang einem Klavier beim Abbrennen zuhören darf. Horror für das Klavier – und für Zuhörer mit ADHS.
Was ist Horror? clipping. geben ihre Antworten auf die Frage in Form von in sich abgeschlossenen Geschichten in Rapform. Horror ist es zum Beispiel, sich als Drogendealerbande in einem Methlabor einschließen zu müssen und nicht zu wissen, ob es die verfeindete Gang ist, die dich abknallen will, oder ein Haufen Polizisten. („Nothing is Safe“)
Apropos Polizisten: Horror ist es auch, wenn die Menschen, die dich von Staats wegen beschützen müssten, anfangen dich umzubringen, weil du eine andere Hautfarbe hast. Wie es eingangs des Tracks „He Dead“ heißt: „Protect your body. They want to take your body. They want to hurt your body and put it in a coffin. Cause they don’t think you matter, oh no, they want to take your power, oh no, and make you even lesser, oh no, and add you to the number.” Im Track selbst scheint es dann zwar um Werwölfe zu gehen – aber wer wird bei diesem Text an Werwölfe denken, wenn der Horror um die nächste Ecke lauert?
Horror ist es zum Beispiel, im Umfeld einer kriminellen Organisation aufzuwachsen und sich mit Dingen konfrontiert zu sehen, denen man nicht wirklich gewachsen ist. („Run for your life“) In „La Mala Ordina“ richten sich clipping. explizit gegen den nach wie vor virulenten Gangsta-Kult im Rapbusiness: “You standing over the stove talking about you really know crack. Crack is what a skull do, so if someone getting brain that mean it was nice to know you, the spinal fluid a go-to to thicken the pot, the clique out in the whip whipping the snot out a submissive till he shit blood. You thought they was dickin’ a thot? You got your rap shit fucked up!”
Und was ist der ultimative Horror? Der Horror, der alles überschattet? Den man sich für den Schluss aufbewahrt? Ganz klar: Das ist der Horror, der jeden überfallen kann, der Horror, der von innen kommt, diese furchterregenden Gedanken in dir, die dich dazu bringen wollen, dem ganzen Leben ein Ende zu bereiten: „You’ve been saying you want it to stop, why don’t you take one more step and let God, or what you make up in your head, stir the pot while you lose faith. (…) You’ve been saying you hated this skin, why you stuck there? One more step to the wind and then compare if it’s better to never begin, or if there’s sun there.”
Kommen wir zur Ausgangsfrage zurück: Warum tun wir uns diesen Horror überhaupt an? Eine tiefenpsychologisch anmutende These könnte lauten, dass wir unterbewusst eine Ahnung davon haben, dass die Welt in ihrem Inneren ein furchterregender, grauenvoller Ort ist – und Horrorfilme kanalisieren dieses Grauen in eine Stellvertreterwelt, die noch viel grauenvoller ist als die unsrige, und mit der wir viel besser zurecht kommen, weil wir sie jederzeit wieder verlassen können. Diese Welt hingegen können wir nur tot wieder verlassen. Und das ist vielleicht das Grauenvollste an diesem Ort.