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Hasst Gott Schwule? Eine revisionistische Auslegung des Alten Testaments in Bezug auf die Homosexualität

Das leidige Thema der Homosexualität im Alten Testament

Hat man sich wie der Verfasser dieser Zeilen die Mühe gemacht, die Bibel und/oder den Koran einmal komplett zu lesen, so fasst man sich bei vielen Thematiken, die manchen religiösen Menschen offenbar ziemlich nahe zu gehen scheinen, offen gestanden an den Kopf. Eines dieser völlig übermäßig aufgeblähten Themen ist die Frage danach, wie man sich denn nun in Sachen Homosexualität moralisch zu positionieren hat.

Damit meine ich nicht, dass das Thema für Homosexuelle nicht eine außerordentliche Sprengkraft besitzt, im Gegenteil: Für sie ist diese Frage nicht nur persönlich relevant, wenn sie ihre eigene Sexualität mit einem Glauben an Gott, an Jesus oder die Bibel vereinbaren wollen. Sie kann leider auch in einem ganz existenziellen Sinn relevant werden, wenn nämlich fundamentalistische Christen oder sonstige Fanatiker aufgrund von äußerst ausgewählter Lektüre der Bibel oder des Korans auf die Idee kommen, dass der Kampf gegen Homosexualität eine besondere Bedeutung im Leben eines Christen oder Moslems zu spielen hat.

Daher sei diesen Menschen als allererstes in ihr Stammbuch geschrieben: Bitte, bitte, bitte tut mir einen Gefallen, und lest vor jedem weiteren religiös motivierten Aktionismus eure Heilige Schrift der Wahl einmal komplett durch, und legt euch dann die Frage vor, ob Homosexualität ein Thema ist, das in eurem Leben als Gläubige eine besondere Relevanz besitzen sollte.

Homosexualität – ein verschwindend geringes Problem!?

Wenn ich also sage, dass das Thema Homosexualität im religiösen Diskurs völlig aufgebläht ist, dann meine ich nicht, dass es für Homosexuelle nicht von großer Bedeutung ist. Ich meine damit, dass es gemessen am quantitativen Umfang des Alten Testaments – und nur auf diese heilige Schrift werde ich mich im Folgenden beziehen, es gilt aber auch für das Neue Testament und den Koran, für welche ich das Thema vielleicht eines Tages separat abhandeln werde – einen verschwindend geringen Raum einnimmt.

Mein Altes Testament hat 1340 eng bedruckte Seiten. Auf diesen über 1000 Seiten finden sich laut dieser Auswertung insgesamt 23.186 Verse. Wie viele dieser Verse behandeln explizit das Thema Homosexualität? Na? Schätzen Sie mal…

Hier die Antwort: 2. In Worten: Zwei.

Und das sind sie:

„Und mit einem Mann sollst du nicht schlafen, wie man mit einer Frau schläft. Das ist ein Greuel.“ (Leviticus 18, 22)

„Und wenn jemand mit einem Mann schläft, wie man mit einer Frau schläft, so haben beide einen Greuel verübt. Sie müssen getötet werden, auf ihnen lastet Blutschuld.“ (Leviticus 20, 13)

Das ist alles, was das Alte Testament zum Thema Homosexualität sagt.

Versteht mich nicht falsch: Diese beiden Verse können in den Händen eines religiösen Fanatikers so gefährlich wie Sprengstoff sein, und umso wichtiger ist es, sich mit ihnen auch und gerade im 21. Jahrhundert intensiv auseinander zu setzen. Aber selbst wenn man nur die Thora, also die fünf Bücher Mose, zugrunde legt, und aus dieser wiederum nur die Gesetze und Satzungen, dann handelt es sich hier um lediglich eines von (laut dieser Zählung) insgesamt 623 Gesetzen.

Homosexualität ist ein Kapitalverbrechen, aber…

Nun könnte man mir natürlich entgegenhalten, dass es sich hier immerhin um ein Kapitalverbrechen handelt, dementsprechend wichtig muss dieses Gebot auch sein. Und da ist natürlich etwas Wahres dran – anderenfalls würde ich mich vermutlich gar nicht erst mit einer solchen Petitesse aufhalten. Um dieser Kritik dennoch wenigstens ein bisschen den Wind aus den Segeln zu nehmen, möchte ich ein anderes Kapitalverbrechen aus dem Buch Numeri zitieren:

„Und die Israeliten waren in der Wüste und ertappten einen Mann, der am Sabbattag Holz sammelte. Und die ihn beim Holzsammeln ertappt hatten, brachten ihn zu Mose und Aaron und zu der ganzen Gemeinde. Und sie legten ihn in Gewahrsam, denn es war noch nicht bestimmt, was mit ihm geschehen sollte. Der Herr aber sprach zu Mose: Der Mann muss getötet werden! Die ganze Gemeinde soll ihn außerhalb des Lagers steinigen. Da führte ihn die ganze Gemeinde vor das Lager hinaus, und sie steinigten ihn, so dass er starb, wie der Herr es Mose geboten hatte.“ (Numeri 15, 32-36)

Tja, liebe Freunde: Am Sabbattag darf man nicht arbeiten – und insbesondere darf man kein Holz sammeln. Wir wissen nicht, wozu dieser Mann Holz brauchte, denn es spielt keine Rolle: Holz sammeln ist Arbeit, und Arbeit am Sabbat ist ein Kapitalverbrechen. Nota bene: Arbeit am Sabbat, nicht am Sonntag! Vom Sonntag als heiligem Feiertag Gottes lese ich nirgends in der Bibel – du etwa?

Wie? Meinst du etwa, du könntest am Samstag ein paar Überstunden schieben? Oder Familieneinkäufe erledigen? Ein bisschen Holz sammeln? Und wenn du sonntags in die Kirche gehst und anschließend gegen liberale Regeln für Homosexualität demonstrierst, wird Gott über deine Verstöße gegen das Sabbatgebot gnädig hinwegsehen? Kapitalverbrechen bleibt doch Kapitalverbrechen – oder sehe ich da etwas falsch?

Homosexualität ist ein Greuel, aber…

Manch ein unerfahrener Bibelleser wird sich aber denken, dass gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr ja nicht nur ein Kapitalverbrechen ist, sondern auch ein Greuel: Ist das nicht etwas total Furchtbares, Ekelerregendes? Es lässt sich nicht leugnen, dass das Wort Greuel für Dinge und Taten reserviert ist, die der Herr verabscheut. Man sollte allerdings nicht glauben, dass der eigene Ekel ausschlaggebend dafür ist, was der Herr ekelerregend findet: Wir müssen vielmehr die komplette Schrift lesen, um zu erfahren, was in Gottes Augen alles ekelerregend ist.

Und so werden wir schnell auf weitere Beispiele von Greueltaten stoßen, die in der Thora explizit verboten werden und die in den meisten von uns nicht den geringsten Ekel erzeugen dürften. Der Verzehr von Meeresfrüchten beispielsweise ist ebenfalls ein Greuel, denn es heißt:

„Alles, was im Wasser lebt, in den Meeren und Bächen, was Flossen und Schuppen hat, dürft ihr essen. Alles aber in den Meeren und Bächen, was keine Flossen und keine Schuppen hat von allem Kleingetier des Wassers und von allen Lebewesen im Wasser, ist für euch ein Greuel. Und sie sollen ein Greuel für euch sein. Von ihrem Fleisch dürft ihr nicht essen, und ihr Aas sollt ihr verabscheuen. Alle Tiere im Wasser, die keine Flossen und keine Schuppen haben, sind für euch ein Greuel.“ (Leviticus 11, 9-12)

Nun steht auf Verzehr von Meeresfrüchten nicht die Todesstrafe, aber es ist doch bemerkenswert, dass dieser Greueltat rein quantitativ, gemessen an der Verszahl, ein weitaus größerer Raum gegeben wird als der Auslebung homosexueller Neigungen. Auch in anderen Speisevorschriften wird explizit davon gesprochen, dass der Verzehr gewisser Tiere ein Greuel ist – ich werde sie hier nicht alle auflisten, schlagt es bei Interesse doch einfach selbst nach!

Weitere Verbote, an die sich kaum ein Christ hält

Es gibt noch weitere Verbote in der Thora, an die sich vermutlich kaum ein Christ halten wird. Wie sieht es etwa mit dem folgenden aus: „Euer Haupthaar sollt ihr nicht rundum scheren, und deinen Bart sollst du nicht stutzen.“ (Leviticus 19, 27. Vollbärte sind ja derzeit immer noch in – aber selbst die dürften in der Regel doch gestutzt sein…)

Oder dieses hier: „Leihst du Geld dem Armen aus meinem Volk, der bei dir ist, so sei nicht wie ein Wucherer zu ihm. Ihr sollt ihm keinen Zins auferlegen.“ (Exodus 22, 24. Warum hält sich da eigentlich keiner dran? Ist doch irgendwie schade, oder nicht?)

Oder dieses: „[E]in Kleid, das aus zweierlei Fäden gewoben ist, soll nicht auf deinen Leib kommen.“ (Leviticus 19, 19. Prüfst du wirklich nach, ob deine Kleider reine Baumwolle sind? Oder trägst du auch mal ein Polyestergemisch? Ich frage für einen Freund…)

Wozu sage ich das alles? Möchte ich die Vorschrift bezüglich der Homosexualität relativieren? Nicht im Geringsten – sie steht da, wie sie da steht, und wir werden uns im Folgenden damit beschäftigen müssen, was wir für unser heutiges Leben daraus zu ziehen haben. Ich führe diese ganzen anderen Gebote lediglich zu dem Zwecke an, um denjenigen gläubigen Christen unter meinen Lesern, die ihre Homophobie und ihren Ekel vor Schwulen und Lesben mit Verweis auf die Bibel als besondere Verbundenheit mit Gott bemänteln wollen, einmal gehörig das Maul zu stopfen:

Du denkst also, dass alle 623 Gesetze der Thora weiterhin in Kraft sind? Nun denn, dann musst du als Kind Gottes auch nach allen 623 Gesetzen dein Leben ausrichten! Wie? Einige dieser Gesetze erscheinen dir zu hart oder irgendwie sinnlos? Dann versetze dich mal in die Lage eines Homosexuellen, der sich seine sexuelle Orientierung auch nicht ausgesucht hat: Könnte es nicht sein, dass die Gesetze für ihn mindestens so hart sind wie für dich? Willst du ihm da immer noch das Leben zusätzlich schwer machen?

So. Das musste vorab einmal geklärt werden, weil ich davon ausgehe, dass sich nur ein verschwindender Bruchteil sogenannter „bibeltreuer Christen“ an alle biblischen Gebote hält, weshalb mir das Aufdecken dieser Doppelmoral ein besonderes Anliegen ist.

Was genau wird verboten?

Nun kann man aber mit dem Verweis auf die offenkundige Doppelmoral vieler gläubiger Menschen nicht das Problem unter den Teppich kehren, dass homosexuelle Menschen sich durch die Heilige Schrift doch deutlich vor den Kopf gestoßen fühlen müssen: Findet Gott mich abstoßend, weil ich homosexuell bin? Darf ich meine Sexualität nicht ausleben? Hat Gott mich nicht so geschaffen, wie ich bin? Warum darf ich dann nicht sein, wer ich bin? Das ist doch grausam!

Das Problem ist der Geschlechtsakt – und nichts sonst!

Bevor wir uns diesen Fragen nähern, möchte ich zunächst die Verbote noch einmal genau betrachten.

„Und mit einem Mann sollst du nicht schlafen, wie man mit einer Frau schläft. Das ist ein Greuel.“ (Leviticus 18, 22)

Es ist wichtig festzuhalten, dass hier nicht von gleichgeschlechtlichem Sex allgemein gesprochen wird, sondern von gleichgeschlechtlichem Sex unter Männern! Alle Lesben dürfen also schon einmal erleichtert aufatmen: An euch wendet sich dieses Verbot nicht – und ein analoges Verbot findet sich auch nirgendwo anders in der Bibel. (Jedenfalls meines Wissens – wer ein Zitat hat, gerne in den Kommentarbereich!)

Zweitens können wir ebenfalls festhalten, dass über Homosexuelle an sich gar nichts ausgesagt wird, sondern nur über den Geschlechtsakt: Gott sagt nicht, dass er Schwule abstoßend findet, sondern Schwulensex. Von Händchenhalten, Schmusen, Knutschen steht da nichts. Allein die Penetration ist der Zeile zufolge verwerflich. Das wird noch deutlicher, wenn wir uns das Zitat in seinem weiteren Kontext ansehen. Nach einer (etwas ermüdenden) Reihe von expliziten Inzestverboten lesen wir folgendes:

„Und einer Frau, die unrein ist in ihrer Regel, sollst du nicht nahe kommen und ihre Scham entblössen. Und du sollst nicht mit der Frau deines Nächsten den Beischlaf vollziehen und dadurch unrein werden. Und von deinen Nachkommen sollst du keinen hingeben und ihm den Moloch darbringen. Und du sollst den Namen deines Gottes nicht entweihen. Ich bin der Herr. Und mit einem Mann sollst du nicht schlafen, wie man mit einer Frau schläft. Das ist ein Greuel. Und du sollst nicht mit einem Tier den Beischlaf vollziehen und dadurch unrein werden. Und eine Frau soll sich nicht vor ein Tier stellen, damit es sie begatte. Das ist schändlich.“ (Leviticus 18, 19-23)

Auch der Vers aus Leviticus 20 steht in engem Zusammenhang mit Vorschriften, die gewisse Sexualpraktiken betreffen. Dort lesen wir nach einer (wiederum ermüdenden) Reihe von Inzestverboten sowie dem bereits erwähnten Verbot der männlich-männlichen Penetration unter anderem die folgenden Verbote:

„Und wenn jemand mit einem Tier den Beischlaf vollzieht, muss er getötet werden, und auch das Tier sollt ihr töten. Und wenn eine Frau einem Tier nahe kommt, damit es sie begatte, sollst du die Frau und das Tier töten. Sie müssen getötet werden, auf ihnen lastet Blutschuld.“ (Leviticus 20, 15-16)

„Und wenn ein Mann mit einer Frau während der Zeit ihrer Regel schläft und ihre Scham entblösst, so hat er ihre Blutquelle entblösst, und sie hat die Quelle ihres Blutes entblösst. Und beide sollen getilgt werden aus ihrem Volk.“ (Leviticus 20, 18)

Sobald wir den weiteren Kontext betrachten, lernen wir also nicht nur, dass es ausschließlich um Geschlechtsverkehr geht. Wir lernen auch, dass Sodomie, Inzest, schwuler Geschlechtsverkehr sowie Geschlechtsverkehr mit einer menstruierenden Frau aus der Sicht Gottes, wie sie uns hier präsentiert wird, auf einer Stufe stehen – was man wiederum mit einem zwinkernden Seitenhieb auf den bibeltreuen Christen quittieren darf, ob er selbst denn noch nie ein Kapitalverbrechen in diesem Sinne begangen hat. Aber wir wollen nicht abschweifen.

Wie umgehen mit den Sexualgesetzen des Alten Testaments? Ein „Dilemma“.

Es bieten sich hier für gläubige Menschen jedenfalls gleich zwei Möglichkeiten, in einen relativ sauren Apfel zu beißen: Entweder man vertritt einen traditionalistischen Standpunkt und möchte alle Regeln des Leviticus aufrechterhalten. Dann muss man allerdings auch vertreten, dass der Geschlechtsverkehr mit einer menstruierenden Frau genau so verwerflich ist wie Inzest oder Sodomie. Es wäre argumentativ völlig willkürlich, den Geschlechtsverkehr mit einer menstruierenden Frau aus der Reihe dieser Gesetze herauszunehmen, bloß weil es nicht mehr in die heutige Zeit passt: Gottes Gebote passen sich nicht dem Zeitgeist an!

Oder man vertritt einen revisionistischen Standpunkt und sagt, dass die angegebenen Regeln zur Sexualmoral für die Menschen heute keine Gültigkeit mehr besitzen. Dann muss man allerdings auch vertreten, dass Inzest und Sodomie genau so wenig verwerflich sind wie Homosexualität und Geschlechtsverkehr mit einer menstruierenden Frau. Es wäre argumentativ völlig willkürlich, die Inzest- und Sodomieverbote aus dem Leviticus beizubehalten, bloß weil sie noch in die heutige Zeit passen: Gottes Gebote passen sich nicht dem Zeitgeist an!

Wie sauer diese Äpfel sind, und ob einem der eine Apfel deutlich besser mundet als der andere, muss letztlich jeder mit sich selbst ausmachen – über Geschmack lässt sich nicht streiten. Prima facie ist jedenfalls keine dieser Möglichkeiten völlig unplausibel. Eines ist jedoch völlig klar: Wenn man schon mit der Bibel argumentieren möchte, dann sollte man das auch konsequent tun. Und sowohl Traditionalisten als auch Revisionisten picken sich leider häufig genug diejenigen Textstellen heraus, die sie mit ihrem persönlichen Gewissen oder Ekelgefühl am besten vereinbaren können. Diesen Fehler möchte ich versuchen zu vermeiden – auch wenn aus dem, was ich bisher geschrieben habe, vermutlich klar erkennbar ist, dass ich intuitiv – oder sagen wir: gefühlsmäßig – lieber ein Revisionist bin als ein Traditionalist.

Und wenn das jetzt noch nicht klar geworden ist, gebe ich es hiermit ganz offen und unmissverständlich zu: Aus meiner Sicht sind in der Tat einvernehmliche Sodomie – wie auch immer man da Einvernehmen herstellen kann; vielleicht durch Schwanzwedeln?!—, einvernehmlicher Inzest, einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Sex sowie einvernehmlicher Sex mit einer menstruierenden Frau gleichermaßen unverwerflich. Wenn man mich fragt, habe ich da keinerlei moralische Bedenken. Wir fragen allerdings nicht mich, sondern wir befragen die Bibel – denn würden wir mich fragen, könnten wir uns den ganzen Aufriss, den ich hier betreibe, komplett sparen…

Für wen gelten die Gesetze des Alten Testaments und warum?

Nachdem ich hiermit aus Gründen der argumentativen Transparenz meine Vorliebe für metaphorischen Boskoop kundgetan habe, möchte ich den Kontext der Leviticus-Textstellen noch weiter ausdehnen: Finden wir im Buch Leviticus etwas darüber, wem diese Gesetze gelten und warum?

Wenn ich die Frage schon so treudoof stelle, wird man sich die Antwort denken können: In der Tat ist die Bibel kein bloßes Gesetzbuch, sondern eine große Erzählung, innerhalb derer die Gesetze eingefasst sind. Ich möchte aber nun aus Platzgründen nicht bei Adam und Eva beginnen (Zwinkersmiley!), und auch nicht bei Moses in Ägypten, sondern bei dem kleinen Rahmen verbleiben, der in Leviticus 18 und Leviticus 20 die vorliegenden Gesetze rahmt. Zunächst also die linke Klammer des Rahmens:

„Und der Herr sprach zu Mose: Sprich zu den Israeliten und sage ihnen: Ich bin der Herr, euer Gott. Ihr sollt nicht tun, was man im Land Ägypten tut, wo ihr gewohnt habt, und ihr sollt nicht tun, was man im Land Kanaan tut, wohin ich euch bringe. Und ihr sollt nicht nach ihren Satzungen leben. Ihr sollt meine Vorschriften befolgen und meine Satzungen halten und nach ihnen leben. Ich bin der Herr, euer Gott. Und meine Satzungen und meine Vorschriften sollt ihr halten. Denn der Mensch, der sie befolgt, wird durch sie leben. Ich bin der Herr.“ (Leviticus 18, 1-5)

Aus dieser Klammer erfahren wir folgendes:

1. Die Gesetze sind Gesetze für das Volk der Israeliten.

2. Durch Befolgung der Gesetze sollen sich die Israeliten von den Ägyptern einerseits sowie den Kanaanitern andererseits absondern.

3. Die Israeliten kommen aus Ägypten und sollen sich von den Gesetzen, die in Ägypten auch für sie gegolten haben, bewusst distanzieren.

4. Die Israeliten werden von Gott nach Kanaan gebracht und sollen sich von den Gesetzen, die dort gelten, bewusst distanzieren.

5. Der Mensch, der die Gesetze befolgt, wird durch sie leben – was auch immer das heißen mag und warum auch immer das gelten mag!

Betrachten wir nun drei rechte Klammern dieses Rahmens, nämlich die Klammern in Leviticus 18, Leviticus 20 und Leviticus 26. (Das Bild der Klammern ist natürlich etwas schief, wenn es mehr rechte als linke Klammern gibt – aber naja, irgendwas ist ja immer.) Zuerst Leviticus 18, direkt nach dem Sodomieverbot:

„Ihr sollt euch durch nichts von all dem verunreinigen. Denn durch all dies haben sich die Völker verunreinigt, die ich vor euch vertreibe. So ist das Land unrein geworden, und ich habe seine Schuld heimgesucht an ihm, und das Land hat seine Bewohner ausgespien. Ihr aber sollt meine Satzungen und Vorschriften halten und keinen von all diesen Greueln verüben, weder der Einheimische noch der Fremde, der in eurer Mitte lebt, denn all diese Greuel haben die Menschen verübt, die vor euch im Land waren, und so ist das Land unrein geworden. Dann muss euch das Land nicht ausspeien, weil ihr es unrein macht, wie es das Volk ausgespien hat, das vor euch da war.

Jeder, der etwas von den Greueln verübt, alle, die so etwas tun, sollen getilgt werden aus ihrem Volk. Und so erfüllt meine Anweisung, keine der greulichen Satzungen zu befolgen, die man vor euch befolgt hat, und verunreinigt euch nicht durch sie. Ich bin der Herr, euer Gott. “ (Leviticus 18, 24-30)

Aus dieser Klammer lernen wir folgendes:

1. Die von Gott verbotenen Handlungen wurden von denjenigen begangen, denen Gott das Land entreißen wird, nämlich den Völkern Kanaans.

2. Durch diese Handlungen ist das Land unrein geworden und speit deshalb seine Bewohner aus.

3. Weil durch diese Handlungen das Land unrein wird, dürfen sie nicht nur von den Israeliten nicht verübt werden, sondern auch nicht von Fremden, die sich unter den Israeliten befinden.

4. Wenn sich die Israeliten nicht an die Vorschriften halten, wird das Land Kanaans auch sie ausspeien.

Dies wirft insbesondere ein Licht darauf, warum derjenige, der nach diesen Geboten handelt, durch diese Gebote leben wird: Die Gebote halten das Land rein, und wenn das Land rein ist, speit es nicht seine Bewohner aus. Umgekehrt speit ein unreines Land seine Bewohner so aus, wie die Kanaaniter ausgespien werden – das bedeutet, sie werden von Feinden bedrängt, erobert, geschlachtet, vertrieben. Klingt grausam? So ist das Alte Testament. Gewöhn dich besser dran.

Nehmen wir nun die zweite Klammer aus Leviticus 20 hinzu:

„So haltet all meine Satzungen und alle meine Vorschriften und befolgt sie. Dann wird euch das Land nicht ausspeien, in das ich euch bringe, damit ihr darin wohnt. Und lebt nicht nach den Satzungen des Volkes, das ich vor euch vertreibe. Denn all dies haben sie getan, und mich ekelte vor ihnen.

Zu euch aber habe ich gesagt: Ihr sollt ihren Ackerboden in Besitz nehmen, und ich will ihn euch zum Besitz geben, ein Land, wo Milch und Honig fliessen. Ich bin der Herr, euer Gott, der euch aus den Ländern ausgesondert hat. Und ihr sollt unterscheiden zwischen dem reinen Vieh und dem unreinen und zwischen den unreinen Vögeln und den reinen. Und ihr sollt euch nicht selbst zum Greuel machen durch das Vieh, die Vögel und durch alles, was auf dem Erdboden kriecht, was ich für euch ausgesondert und für unrein erklärt habe.

Und ihr sollt mir heilig sein, denn ich, der Herr, bin heilig, und ich habe euch aus den Völkern ausgesondert, damit ihr mir gehört.“ (Leviticus 20, 22-26. Ich komme nicht umhin, darauf aufmerksam zu machen, dass Gott hier erneut betont, wie wichtig die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren ist – Homosexualität brennt ihm rein quantitativ betrachtet wie gesagt nicht so sehr unter den Nägeln wie das Thema der richtigen Ernährung.)

Die Handlungen, die Gott verbietet, erzeugen in ihm also einen Ekel, den wir nicht wegdiskutieren dürfen und sollten: So viel muss an dieser Stelle in Bezug auf schwulen Poposex leider festgehalten werden. Was lernen wir noch?

1. Gott verspricht den Israeliten das Land der Kanaaniter als Besitz.

2. Das Volk Israel ist aus den Ländern ausgesondert und erhält deshalb auch ausgesonderte Regeln.

3. Das Volk Israel gehört Gott.

Nehmen wir nun noch die letzte, ganz kurze Klammer aus Leviticus 26 hinzu:

„Das sind die Satzungen und die Vorschriften und Weisungen, die der Herr auf dem Berg Sinai zwischen sich und den Israeliten durch Mose erlassen hat.“ (Leviticus 26, 46)

Wir haben es hier also mit Satzungen, Vorschriften und Weisungen zu tun, die zu einem Bundesschluss des Herrn mit dem Volk Israel gehören. An dieser Stelle nur ganz kurz die Rahmenhandlung: Israel befand sich 400 Jahre lang in Knechtschaft in Ägypten. Gott erwählt Moses, die Israeliten aus Ägypten rauszuholen und schenkt Israel damit die Freiheit. Außerdem führt Gott die Israeliten nach Kanaan und gibt ihnen das dortige Land als Besitz. Alles quasi geschenkt – denn er geht für die Israeliten ganz schön in Vorleistung.

Aber als Gegenleistung hat Gott dann doch einige Forderungen, die sich in seinen Gesetzen widerspiegeln: Durch Befolgung dieser Gesetze soll Israel sich von den anderen Ländern absetzen und auszeichnen – Israel soll gegenüber den anderen Ländern ein leuchtendes Vorbild sein, ein „Königreich von Priestern und ein heiliges Volk“ (Exodus 19, 6), sodass die anderen Länder und Völker es nicht für eines der „typischen blutrünstigen Eroberungsvölker“ halten, sondern für ein weises, von Jahwe selbst in Freiheit regiertes Volk. Wer genaueres lesen möchte, sei auf Deuteronomium 26 verwiesen.

Insbesondere ist folgendes wichtig festzustellen: Da Gott einem anderen Volk ein Land wegnimmt, um es seinem auserwählten Volk Israel zu geben, muss Israel sich vor Gott und der Welt moralisch bewähren, damit es Gottes vorauseilender Güte auch gerecht wird und nicht Schande über den Namen Gottes bringt! Daher ist das Land Kanaan für Israel nicht nur Verheißung, sondern auch Fluch: Man lese dazu nur Deuteronomium 27, 15-68, wo Gott dem Volk Israel in intensiven, schonungslosen Worten schildert, was mit ihnen passieren wird, wenn sie sich nicht an seine Gesetze halten.

Der Rest des Alten Testaments ist im Wesentlichen dem regelmäßigen Scheitern Israels gegenüber diesen Gesetzen Gottes gewidmet, sowie der Frage, wie Gott seinen Bund mit den Israeliten trotzdem noch irgendwie fortführen und erneuern kann – immer wieder mit der bangen Aussicht, von den Israeliten doch wieder enttäuscht zu werden. Schau mal rein, ist interessanter als du denkst!

Fazit: Die alttestamentarischen Gebote gelten für das Volk Israel – also nicht für mich!

Was lehrt uns nun dieser gesamte Kontext? Nun, aus meiner Sicht zeigt der Kontext, dass wir die Gebote aus Leviticus nicht 1:1 auf unsere Situation übertragen können, da und insofern wir nicht zu Gottes auserwähltem Volk Israel gehören! Ich für mein Teil jedenfalls sehe mich nicht als Teil Israels, und umgekehrt wird Israel bzw. das Judentum mich auch nicht als Teil ihres Volkes akzeptieren, bloß weil ich es sage.

Es ist natürlich eine offene Frage, was Gott denn nun für ein Verhalten von mir verlangt. Aber diese durchaus wichtige Frage möchte ich hier nicht erörtern, da sie den Rahmen sprengen würde. (Kurzform: Ich denke, Einhaltung der zehn Gebote wären mindestens ein guter Anfang – ergänzt durch Fürsorge für die Armen und Hilflosen. Aber wie gesagt: Das sei hier nur erwähnt, nicht belegt.)

Es scheint mir jedenfalls offensichtlich zu sein, dass der Bundesschluss zwischen Gott und den Israeliten mich nicht einschließt – und sei es nur aus dem einfachen Grund, dass mir keinerlei Anrecht auf Bewohnung des heiligen Landes gegeben ist. Für die meisten Christen sollte sich das Thema Homosexualität damit hoffentlich erledigt haben. Aber falls nicht, steht ihnen natürlich immer noch frei, in den anderen sauren Apfel zu beißen…

Wie würden die Gesetze in einer Theokratie durchgesetzt?

Gehen wir zum Abschluss aber noch der hypothetischen Frage nach, wie wir die Gesetze auszulegen hätten, wenn wir uns in einer alttestamentarischen Theokratie auf heiligem Boden befinden würden. Sollten wir dann alle Schwulen zusammentreiben und steinigen? Ist es nicht das, was Gott befiehlt?

Selbst in diesem hypothetischen Fall gemahne ich zu größter Vorsicht vor voreiligen Schlüssen. Wie ich bereits erwähnte, ist allein die Penetration mit der Todesstrafe belegt – Händchenhalten, Knutschen, Fummeln, Lecken, Umarmen, Streicheln: Alles erlaubt, auch in der Öffentlichkeit, und kein Greuel! Wenn du mir nicht glaubst, zeige mir die Textstelle, die solches Verhalten verbietet. Man mag also die Schwulen in der Öffentlichkeit zuverlässig erkennen – aber penetrieren sie sich auch? Das ist nicht automatisch erwiesen. Oder gibt es etwa keine sexuell frustrierten Eheleute?

Aber welche Standards würden denn in einer alttestamentarischen Theokratie gelten? Kinderleicht zu sagen: Natürlich die Standards des Alten Testaments! Und wie sehen diese Standards aus? So:

„Wer auf den Tod angeklagt ist, soll aufgrund der Aussage von zwei oder drei Zeugen getötet werden; aufgrund der Aussage eines einzigen Zeugen darf er nicht getötet werden. Die Zeugen sollen als erste Hand an ihn legen, um ihn zu töten, und danach das ganze Volk. So sollst du das Böse ausrotten aus deiner Mitte.“ (Deuteronomium 17, 6-7)

Man braucht also zwei oder drei Zeugen für den Geschlechtsakt, ein einziger reicht nicht aus. Diese Grundregel ist so wichtig, dass sie kurz darauf im gleichen Buch noch einmal wiederholt und näher ausgeführt wird:

„Ein einziger Zeuge soll nicht gegen jemand den Ausschlag geben, wenn es um irgendeine Schuld geht oder um irgendeine Sünde oder um irgendeine Verfehlung, die einer begangen hat. Auf die Aussage von zwei oder drei Zeugen hin soll eine Entscheidung getroffen werden. Wenn aber ein Zeuge zu Unrecht gegen jemanden auftritt, um ihn einer Verfehlung zu beschuldigen, dann sollen die beiden Männer, zwischen denen der Streit besteht, vor den Herrn treten, vor die Priester und die Richter, die zu jener Zeit da sein werden.

Die Richter aber sollen gründlich nachforschen. Und wenn der Zeuge ein Lügenzeuge ist, hat er seinen Bruder fälschlich beschuldigt. Dann sollt ihr ihm antun, was er seinem Bruder anzutun gedachte. So sollst du das Böse ausrotten aus deiner Mitte. Die Übrigen aber sollen es hören und sich fürchten und nie mehr böse handeln in deiner Mitte. Da sollst du kein Mitleid kennen: Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuss um Fuss.“ (Deuteronomium 19, 15-21)

Auge um Auge, Zahn um Zahn – gilt das nicht als ein völlig überholter Spruch aus barbarischer Vorzeit? Klingt in diesem Kontext doch ziemlich fair, oder etwa nicht? Sei es drum. Der Punkt ist jedenfalls, dass Lügenzeugen gegen eines der zehn Gebote und damit einen der Eckpfeiler der hypothetischen alttestamentarischen Theokratie verstoßen. Da versteht der Herr definitiv keinen Spaß!

Aber was passiert nun, wenn zwei Schwule sich – wie heutzutage in der zivilisierten Welt üblich – in unserer Theokratie ganz diskret verhalten und den Geschlechtsakt lediglich in den eigenen vier Wänden praktizieren, ohne Anwesenheit von Zeugen? Nun, dann müssten die zwei oder drei Zeugen ein falsches Zeugnis gegen ihre Nächsten ablegen – sie müssten also gegen eines der zehn Gebote verstoßen (vgl. Exodus 20, 16), und wenn das rauskommt, dann fällt die Todesstrafe auf sie zurück.

Ich meine, ich würde den Schwulen natürlich gerne noch mehr, noch frohere Neuigkeiten bringen – aber mehr als das, was ich hier anzubieten habe, kann ich nicht liefern, ohne gegen den Wortlaut der Bibel zu verstoßen. Es scheint mir jedenfalls alles in allem so zu sein, als hätte diskret praktizierter Schwulensex in den eigenen vier Wänden, ohne Anwesenheit von Zeugen, selbst in einer alttestamentarischen Theokratie praktisch keine Konsequenzen – es sei denn, es fänden sich zwei oder drei Lügenzeugen.

Aber das Auftreten von Lügenzeugen kann man auch in einer liberalen Demokratie oder irgendeiner anderen Staatsform nicht verhindern. Zwei oder drei Lügenzeugen zu finden, macht die ganze Sache für die Ankläger aber zumindest deutlich schwieriger, da sie ihre Lügengeschichte bis ins kleinste Detail miteinander abstimmen müssen, um nicht erwischt zu werden. Doch wenn die Lüge durch eine geschickte Frage der Richter trotzdem ans Licht kommt, dann heißt es in der Theokratie ganz schnell: Aus die Maus, Steinigung! Ich würde mir bei diesen Aussichten eine solche Lüge ehrlich gesagt mehr als zweimal überlegen…

Das letzte Problem: Der Ekel.

Bleibt aber noch das Problem, dass Gott den Schwulensex offenbar eklig findet. Kann man es mit seinem Gewissen vereinbaren, etwas zu tun, was Gott eklig findet? Nun, ich kann wie oben bereits erwähnt nicht umhin, den Ekel Gottes beim Anblick von Schwulensex anzuerkennen. Wenn wir die Bibel als Wort Gottes lesen, dann ist dieser Ekel ein Faktum, an dem nicht zu rütteln ist.

Ich spreche nun nur noch für mich persönlich: Ich liebe Meeresfrüchte. Ich kann es überhaupt nicht verstehen, dass Gott in seiner heiligen Schrift Meeresfrüchte als Greuel bezeichnet. Er hat es gesagt. Ich soll sie nicht essen. Aber ich liebe Meeresfrüchte.

Ich bin schwach. Ich bin nur ein Mensch. Ich verstoße regelmäßig gegen sein Gebot, keine Meeresfrüchte zu essen. Ich versuche, es durch andere Taten wieder gut zu machen. Ich hoffe, dass er mir verzeihen kann, auch wenn ich es immer wieder tue.

Ich hoffe, sein Ekel ist nicht all zu groß. Wissen kann ich es nicht. Wenn ich deswegen in die Hölle komme, kann ich mich nicht beschweren: Ich wurde gewarnt. Ich hoffe, Gott ist gnädig und sieht über seinen Ekel hinweg, so wie ich über meinen Ekel hinwegsehe, wenn Freunde etwas tun, was ich abstoßend finde. Ich bin kein Heiliger. Manchmal tue ich Dinge, die Gott anekeln. Ich hoffe, dass er mir verzeiht.

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