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Rezension: Prezident – „Du hast mich schon verstanden“

Vor einem die nationalsozialistische Ästhetik zitierenden rotweißen Hintergrund, dort wo einmal das Hakenkreuz war, prangt es auf dem Albumcover: Ein umgedrehtes Fragezeichen, im neunzehnten Jahrhundert einmal vorgeschlagen als Satzzeichen, um Ironie in Schriftstücken zu kennzeichnen. Der Vorschlag entbehrt selbst nicht einer gewissen Ironie:

Denn wenn man ironische Aussagen durch Verwendung des Ironiezeichens kenntlich macht, geht der Witz von Ironie völlig flöten – man kann also gleich in einen unironischen Modus wechseln, in dem man das Ironiezeichen gar nicht erst braucht. Das bedeutet aber, dass gerade die Einführung eines Ironiezeichens dazu führen würde, dass man das Ironiezeichen gar nicht mehr braucht, was etwas zutiefst Ironisches hat, weil es ja gerade das Zeichen für Ironie ist, das sich selbst abschafft.

Wenn man die dem Ironiezeichen inhärente Ironie verstanden hat, hat man den ersten Schritt zur Dechiffrierung des Albums getan: Abgesehen vom Album- und Songtitel „Du hast mich schon verstanden“ sind die Texte nämlich ironischerweise weitgehend frei von jeder Ironie und ziemlich ernst gemeint, und zwar nicht obwohl, sondern ironischerweise gerade weil das Album von den Comedians George Carlin und Doug Stanhope gerahmt wird. Was für den Albumtitel selbst wiederum ironische Konsequenzen hat:

Würde man Prezidents Texte einfach genau so verstehen, wie sie geschrieben wurden, dann hätte man ihn schon verstanden – aber da es ausgerechnet in der Hörerschaft des sprachlastigsten Musikgenres Hip Hop scheinbar an grundlegenden interpretativen Kompetenzen mangelt, hat man ihn eben doch nicht verstanden, was den Albumtitel ironischerweise erst wirklich ironisch macht.

Das könnte auch der Umstand sein, weshalb Prezident es in Sachen Ironie ein bisschen wie mit Schrödingers Katze hält: Vielleicht so, vielleicht so – erst die vollzogene Rezeption durch andere entscheidet letztlich, ob der Satz „Du hast mich schon verstanden“ eine ironische Spitze ist oder einfach der Wahrheit entspricht, eben so wie bei Schrödingers Katze erst die vollzogene Beobachtung zwischen Leben und Tod entscheidet.

Und es macht auch Sinn, dass Prezident diesem Ironieverständnis gleich ein ganzes Lied widmet, denn die wenigen ironischen Textzeilen bleiben bewusst vage, verfänglich, missverständlich. Auf „Du hast mich schon verstanden“ wendet er sich etwa mit folgenden Worten gegen Identitätspolitik:

„[d]ie anderen sind ja auch ewig geladen / weil sie etwas, was sie stört, im Leben haben. / Etwa den Glauben, es gäb‘ irgendwas umsonst, / was nur sie, weil sie dieses und jenes sind, nicht bekommen. / Weil sie Frauen sind, zum Beispiel, oder Tunten, oder Türken. / Arme Anne, armer Ahmed, armer Jürgen, / armer Kanye, armer Björn, arme Hengameh, / zusammen auf die Straße, Faust geballt gegen das Dreckssystem. / Fight the Power? / Ihr Bauern!“ („Du hast mich schon verstanden“)

Gerne zitiert wird die Zeile „Arme Anne, armer Ahmed, armer Jürgen“, als würde sich Prezident mit dieser Zeile ironisch über die Belange von Frauen, Türken und Schwulen lustig machen. Unterschlagen wird dabei die folgende Zeile „armer Kanye, armer Björn, arme Hengameh“, in der die wirkliche Ironie steckt: Ist der Milliardär Kanye West wirklich bemitleidenswert, weil er schwarz ist? Ist Björn Höcke als weißer deutscher Mann wirklich Teil einer von Medien unterdrückten Minderheit? Und hat Hengameh Yaghoobifarah wirklich Grund über White Supremacy auf dem stramm linken Fusion Festival zu stöhnen? Identitätspolitik macht keine Unterschiede, sondern schert alle über einen subjektiv-gefühlsbasierten Kamm – und am Ende weiß man nicht, mit welchen Leuten man auf Demos eigentlich wogegen marschiert.

Wie mit Schrödingers Katze verhält es sich vor allem beim vielleicht (!) ironischsten Track „Reden ist Silber“, der auch durch seinen für das Album ungewohnt gut gelaunten, verspielten Beat auffällt: Meint Prezident seinen Tipp wirklich ernst, dass man sich nicht allzu genau zuhören darf, wenn man miteinander reden will? Im Kontext alltäglicher menschlicher Beziehungen – und das ist der Kontext, den das Lied selbst aufmacht – mag da etwas dran sein, neigt man doch im Eifer des Wortgefechts häufig zu Übertreibungen, Übergeneralisierungen, ungedeckten Behauptungen und ähnliches. Aber im Kontext des Albums und seiner Rezeption wirkt der Tipp doch sehr ironisch, da die Befolgung des Tipps gerade dazu führt, dass man Prezident nicht versteht. Es scheint also vom Kontext abzuhängen, ob die Aussage jetzt ironisch gemeint ist oder nicht – eben ein bisschen wie bei Schrödingers Katze: Vielleicht so, vielleicht so.

Und da der Kontext so entscheidend ist, fällt es äußerst schwierig, über die Texte zu sprechen: Zur genauen Analyse müsste man sie aus dem Kontext reißen, aber der Kontext ist bei diesem Album so entscheidend, dass auf das Album als Ganzes das Diktum von Adorno zutrifft, dass Philosophie wesentlich nicht referierbar ist. Aber als Kritiker kann man natürlich auch nicht einfach auf das Album zeigen und rufen: „Da, hör dir das an!“ Daher soll im Folgenden nur das herausgeschält werden, was ich für den Kern des Albums halte.

Im bereits angesprochenen Track „Schrödingers Katze“ lässt Prezident die selbige schon in der ersten Strophe aus dem Sack: Er möchte mit seinem Album Empörung triggern. „Todesstrafe meinetwegen, auf alles, für jeden / außer Kinderficker, da bin ich dagegen! / Kein Fußbreit den Vulgären / der gute alte Prezi kriegt dich auch noch getriggert / mit einem seiner mutwilligen Späße.“ Das Bild des Triggerns ist dabei essenziell: Es geht darum, dass die Empörung, die er auslöst, eine völlig unreflektierte, automatisch ablaufende Empörung ist – und diese Empörung ist das Ziel seines Albums.

Das wird deutlich im Track „Ist das ein Superfood?“, dessen Hook genau dazu auffordert, die getriggerte Empörung zu untersuchen und zu begründen: „Pick your poison, sag, was triggert dich, mein Sohn? / Sag bei welchem Thema du empfindlich bist, mein Sohn. / Und dann erklär, wie das begründet ist, mein Sohn. / Zwölf Seiten morgen früh auf meinem Mittagstisch, mein Sohn.“ Warum soll man seine Empörung begründen? Zum einen sorgt die Praxis des Begründens für eine Zunahme an Zweifel, den man als intellektuelle Kernkompetenz ansehen könnte. („Wo Rauch ist, ist auch Feuer, wo begründet wird, herrscht Zweifel.“) Zum anderen aber hat das Begründen auch etwas mit Sinnstiftung zu tun.

Denn der Zweifel hat auch seine Schattenseiten, wie das Lied „Absurd“ zeigt, in dem an der Sinnhaftigkeit der gesamten menschlichen Existenz gezweifelt wird und gewissermaßen die Zwillingsfrage gestellt wird: „Pick your poison, was macht Sinn für dich, mein Sohn? / Wofür morgens raus, wofür brennst du lichterloh? / Wofür nen Finger rühren? Wogegen nen Finger hoch? / Wofür nen Finger geben im Glauben, dass es sich lohnt?“

Empörung und Sinngebung im Leben gehen also miteinander Hand in Hand: Die Empörung verweist auf Dinge, die dem Leben Sinn geben, und umgekehrt sind die sinnvollen Dinge im Leben solche, die der Empörung wert sind. Das Problem, das Prezident sieht, ist nun, dass die Empörung, die er beobachtet, meistenteils sinnlos ist.

Ironischerweise gilt das ansatzweise auch für seine eigene Empörung: „Was bekümmert dich, mein Sohn? / Die öffentliche Meinung, deren Wege unergründlich sind, mein Sohn? / Dass sie dumm und verlogen und doppelzüngig ist, mein Sohn? / Ja komm, sei nicht so zimperlich, mein Sohn! / Heul jetzt bloß nicht rum, wie die es tun. / Alle fühlen sie sich zensiert und unterdrückt. / Sag doch einfach, was du sagen willst. / Geht eh unter im allgemeinen Datenmüll.“

Hier ist es aber wichtig, zwei Arten der Sinnlosigkeit zu unterscheiden: In einem gewissermaßen metaphysischen, oder besser: in einem kosmischen Sinn ist Prezidents Empörung sinnlos, da sie keine Wirkung haben und eh im allgemeinen Grundrauschen untergehen wird. Andererseits ist seine Empörung in einem persönlichen Sinn durchaus sinnstiftend, da sie seine eigenen Werte offenlegt und verteidigt, als da wären Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Selbstreflektiertheit.

Einen weiteren Beleg hierfür liefert der Track „Rites de passage | Pissen in den Ozean“, in dem Prezident sein Dasein als Künstler schonungslos reflektiert, wobei sich aber eben auch die Janusgesichtigkeit seiner Werte zeigt: Je schonungsloser, ehrlicher, wahrhaftiger man auf sich selbst und die Welt reflektiert, desto schneller gerät man in existenzielle Zweifel, denn „ganz gleich, wie viele Kids in dir nen Gott sehen, / die Erde bleibt ne gleichgültig sich weiterdrehende Fotze.“

Diese kosmische Sinnkrise wird nicht von ungefähr in der Mitte des Albums explizit thematisiert, denn sie ist das paradoxe Zentrum von Prezidents Identität und Existenz, die dem gesamten Album erst das schwarze Blut in die Adern pumpt. Denn die Existenz des alles hinterfragenden Intellektuellen ist paradox: Der Zweifel, die Selbstreflexion, die schonungslose Ehrlichkeit mit sich selbst ist sinnstiftendes Lebenselixir und sinnvernichtende Todesmaschine in einem.

Und ich denke, dass es diese Paradoxie ist, die Prezident am Ende des Albums zur Aussage hinreißen lässt, dass es nichts mehr gibt, was ihn empört, und nur wenig, was ihn nervt: Denn das ganze Album ist ja voll von empörten Tiraden gegen „bentolinks, das ist nicht mal richtig hippielinks / nur willkürlich-empfindlich-und-auf-Twitter-leicht-zu-triggern-links, / Bertelsmann-Stiftungs-links, pseudolinks, / mit Gender-und-Ethnokitsch-billig-angestrichen-links, heißt: / man-nimmt-jede-Form-von-Unterdrückung-hin-solang-die-unterdrückten-Massen-rassisch-gut-durchmischt-sind-links“.

Und warum gerade dieses Links? Weil es sich völlig unreflektiert von der neoliberalen Politik vereinnahmen lässt und dabei noch selbstgefällig meint, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Wäre schön, wenn Prezident mit diesem Album ein paar pseudolinke Köpfe wachgerüttelt hätte. Aber seien wir ehrlich: Für die meisten Pseudolinken – und erst recht für die Raphörer unter ihnen – ist dieses Album definitiv eine Nummer zu hoch.

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