Kategorien
Philosophie Willensfreiheit

Welche Vorzüge hat der Kompatibilismus in der Willensfreiheitsdebatte?

In diesem Beitrag setze ich meine Auseinandersetzung mit Dietmar Hübners Werk Was uns frei macht fort. In diesem Werk hat Dietmar Hübner eine neue Vermessung der Willensfreiheitsdebatte vorgenommen, die ich in meinem letzten Blogeintrag rekonstruiert habe. In diesem Beitrag soll es darum gehen, welche Gründe es dafür gibt, in der Willensfreiheitsdebatte die kompatibilistische Position einzunehmen.

Vorbemerkungen über meinen Inkompatibilismus

Wie ich in meinem letzten Beitrag bereits erörtert habe, bin ich (im klassischen Sinne des Wortes) in der Willensfreiheitsdebatte ein Inkompatibilist: Ich glaube, dass es in einer vollständig determinierten Welt keine Willensfreiheit geben kann. Wir haben allerdings gesehen, dass es etwas unklar ist, ob ich in Hübners Sinne des Wortes ein Kompatibilist oder ein Libertarier bin. Das lag an der Unklarheit des Begriffs der „Lücke im kausalen Gefüge“: Ich glaube, dass der Indeterminismus „Lücken“ ins kausale Gefüge schlägt; Hübner meint indessen, dass das nicht der Fall ist. Ich möchte das hier nicht wieder aufrollen, sondern verweise auf meinen letzten Blogeintrag.

Glücklicherweise ist Hübner nicht nur ein Kompatibilist in seinem Sinne des Wortes, sondern auch ein Kompatibilist im klassischen Sinne des Wortes. Da ich wie gesagt ein Inkompatibilist bin, bin ich nun etwas voreingenommen: Ich glaube, dass Hübner falsch liegen muss. Mein Ziel in diesem und den nächsten Blogeinträgen wird dementsprechend sein, seinen Denkfehler aufzuspüren und ans Licht zu zerren. Ich beginne dabei mit der Frage: Warum überhaupt Kompatibilist sein? Ist meine Argumentation für den Inkompatibilismus im letzten Blogeintrag nicht zwingend?

Die zu schluckende Kröte des Kompatibilismus

Hübner hat keinen Einwand gegen mein Argument für den Inkompatibilismus, im Gegenteil: Er gesteht zu, dass „lückenlose Kausalität kein Anders-handeln-Können oder Anders-wollen-Können unter identischen Umständen zulässt“ (S.104). Das ist für einen Kompatibilisten bewundernswert klar und eindeutig formuliert. Insofern aber Willensfreiheit nur dann bestehen kann, wenn man echte Handlungsalternativen hat, kann der kompatibilistische Begriff der Willensfreiheit nicht das abbilden, was man eigentlich mit Willensfreiheit meint. Der kompatibilistische Begriff der Willensfreiheit muss also revisionistisch sein. Warum sollte man das tun? Antwort: Weil Libertarier und harte Inkompatibilisten noch dickere Kröten zu schlucken haben.

Die zu schluckende Kröte des Libertarismus

Libertarier im Sinne Hübners gehen davon aus, dass es Lücken im kausalen Gefüge gibt, durch die Willensfreiheit erst möglich gemacht wird. Dazu müssen sie aber Entitäten postulieren, die außerhalb dieses kausalen Gefüges stehen und deshalb frei genannt werden können, denen aber ihrerseits kausale Wirksamkeit zugesprochen werden müsste, damit sich diese Freiheit auch in der Wirklichkeit zeigen kann.

Das heißt aber nichts anderes, als, dass diese Entitäten einerseits nicht durch Ursachen in der Welt tangiert werden, andererseits aber selbst zu Wirkungen in der Welt in der Lage wären. Dies hält Hübner für „überaus spekulativ“ und „kaum mit einem wissenschaftlichen Weltbild vereinbar“ (S. 108).

Hübner zufolge können kompatibilistische Ansätze „derartige Seins-Dualismen leicht vermeiden. Da sie Willensfreiheit und Naturkausalität als miteinander verträglich ansehen, brauchen sie keine Entitäten oder Prozesse einzuführen, die einerseits nicht kausal beschaffen wären, damit sie als originär frei gelten könnten, andererseits aber auch kausal effektiv wären, damit sie real relevant werden könnten.“ (S. 108)

Ausblick auf Hübners Seins-Dualismus

Interessanterweise wird uns Hübners Begriff der Willensfreiheit dann doch auf Entitäten führen, die einerseits nicht kausal beschaffen sind, andererseits aber doch in der Welt wirken können: Nämlich auf Gründe. Diese Wirksamkeit von Gründen ist allerdings Hübner zufolge keine kausale Wirksamkeit, er versucht also, dem offensichtlichen Einwand zu entgehen, sein Ansatz schlucke die gleiche Kröte wie der Libertarismus. Ob ihm dieses Ausweichmanöver gelingt, wird Thema eines kommenden Blogeintrags sein.

Fühle ich mich durch Hübners Einwand getroffen?

Meiner Definition der Willensfreiheit zufolge besteht der freie Wille eines Lebewesens in seiner Fähigkeit zur Modifikation seines Handlungsspielraumes. Ich postuliere also keine Entität außerhalb des kausalen Gefüges: Ein Lebewesen ist Teil der physischen Welt, wird also von Wirkungen betroffen und wirkt umgekehrt selbst in der Welt.

Allerdings muss ich insofern „Lücken“ im kausalen Gefüge postulieren, als der Begriff des „Handlungsspielraums“ trivial wird, wenn der Determinismus wahr ist: Unter Annahme des Determinismus besteht der Handlungsspielraum eines Lebewesens jederzeit aus einer einzigen Handlung – nämlich aus der Handlung, die sie notwendig vollziehen wird. Demzufolge macht es aber unter dieser Annahme keinen Sinn, von einer „Fähigkeit zur Modifikation des Handlungsspielraums“ zu sprechen: Der Handlungsspielraum lässt sich nicht modifizieren. Dementsprechend kann ein Lebewesen nach meiner Auffassung keinen freien Willen haben, wenn der Determinismus wahr ist.

Da nun aber der Indeterminismus nach derzeitigem Wissensstand eine Tatsache darstellt, fühle ich mich auch nicht so, als würde ich „überaus spekulative“ Annahmen treffen, die „kaum mit einem wissenschaftlichen Weltbild vereinbar“ sind. Insofern dies die zentralen Argumente gegen einen Libertarismus sind, kann mein Ansatz also Hübners Einwände gegen den Libertarismus vermeiden.

Die zu schluckende Kröte des harten Inkompatibilisten

Harte Inkompatibilisten bzw. Deterministen in Hübners Sinne gehen davon aus, dass es in der Welt, wie sie kausal verfasst ist, keine Willensfreiheit geben kann: Jedes Lebewesen ist ein bloßer Spielball der auf ihn wirkenden kausalen Kräfte, und jede Handlung, jede Überzeugung, jedes Wollen lässt sich prinzipiell vollständig durch kausale Ursachen und Einflussfaktoren erklären.

Hübner macht gegen diese Vorstellung mit Recht geltend, dass jeder sachliche Disput – und insbesondere der Disput über die Frage nach der Willensfreiheit – vor dem Hintergrund des Determinismus seinen eigentlichen Sinn verlieren würde: In einer sachlichen Auseinandersetzung tauschen wir Gründe für unsere Überzeugungen und Behauptungen aus, aber Gründe sind gerade keine Ursachen.

In der Rekonstruktion unseres Disputs durch den Deterministen würden aber gerade diese Gründe durch ein Sprechen über Ursachen ausgemerzt: Das ganze Gespräch erhielte den Charakter des gegenseitigen Überredens; es würde zu einem „bloßen Geschehen wechselseitiger Beeinflussung“ (S. 112). Des Weiteren schwebt die Frage im Raum, warum sich der Determinist überhaupt an dem Gespräch beteiligt: Will er den anderen bloß überzeugen, oder ist er an einem sachlichen, ergebnisoffenen Austausch um der Wahrheit willen interessiert? Und zuletzt muss der Determinist auch zugestehen, dass seine eigene Überzeugung vom Determinismus gerade nicht auf (nichtkausalen) Gründen beruht, sondern auf bloßen Ursachen.

Hübner geht mit seiner Version des Kompatibilismus diesen Einwänden aus dem Weg, indem freie Entscheidungen und Handlungen bei ihm nicht nur durch kausale Einflussfaktoren bewirkt werden, sondern auch von bewussten Gründen geleitet werden. Was das genau bedeuten soll, werden wir in einem künftigen Blogeintrag betrachten.  

Fazit und Ausblick

Wir haben gesehen, dass es drei Positionen in der Willensfreiheitsdebatte gibt: Kompatibilisten, harte Inkompatibilisten und Libertarier. Wir können Hübners Argumentation für den Kompatibilismus folgende wichtige Erkenntnis entnehmen: Jede der drei möglichen Optionen hat mit schwerwiegenden Einwänden zu kämpfen, mit denen die jeweils anderen Positionen nicht zu kämpfen haben. Entsprechend scheint es eine Frage der Abwägung zu sein, mit welchen Einwänden man sich am liebsten konfrontiert sehen will.

Hübner hat sich dafür entschieden, dass eine Revision unseres intuitiven Vorverständnisses von Freiheit das geringste Übel ist. Er gibt zu bedenken, „dass Freiheit vielleicht ohnehin nicht darauf beruhen sollte, welche kontrafaktischen Verläufe hätten stattfinden können, also ob in irgendwelchen alternativen Szenarien abweichende Entscheidungen oder Handlungen vollzogen worden wären oder nicht. Statt von derartigen Irrealitäten abzuhängen, sollte Freiheit wohl letztlich allein darin liegen, welcher reale Vollzug eintritt, also ob das tatsächliche Handeln und Wollen eine geeignete Beschaffenheit aufweist oder nicht.“ (S.105-106)

Damit ergibt sich die Möglichkeit, dass Willensfreiheit objektiv beobachtbar wird – eine Möglichkeit, die ich entschieden ablehne. An Hübners Freiheitsdefinition wird also – jedenfalls aus meiner Sicht – etwas faul sein. Aber was? Das werde ich in künftigen Blogeinträgen näher unter die Lupe nehmen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent mit Real Cookie Banner