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Philosophie Handlungstheorie

Teleologische Handlungserklärungen und kausale Handlungserklärungen: Zwei Seiten einer Medaille?

In einem früheren Blogeintrag habe ich sieben Spielarten von Handlungserklärungen vorgestellt und anhand von Beispielen illustriert. In diesem Beitrag nehme ich den Zusammenhang zwischen zwei speziellen Handlungserklärungen unter die Lupe: Die kausalen und die teleologischen Handlungserklärungen.

Betrachten wir zunächst ein Beispiel für eine Handlung. Ich stehe auf, gehe zum Kühlschrank und hole mir ein Bier. Warum habe ich das gemacht? Kausalisten würden sagen: Ich hatte einen Wunsch nach Bier und die Überzeugung, dass ich mir diesen Wunsch erfüllen kann, indem ich mir ein Bier aus dem Kühlschrank hole. Wunsch und Überzeugung zusammen liefern den „primären Grund“ (Davidson) meiner Handlung, also die Handlungsursache.

Teleologische Realisten würden demgegenüber sagen, dass in dieser Beschreibung eine zusätzliche, teleologische Komponente ins Spiel kommen muss, die eben nicht kausal ist, nämlich die Zielgerichtetheit meines Handelns. Ich gehe zum Kühlschrank, um mir meinen Wunsch nach einem Bier zu erfüllen. Dieses „um … zu“ ist teleologischen Realisten zufolge irreduzibel teleologisch: Es lässt sich nicht ohne Abstriche in die Redeweise von Ursache und Wirkung pressen.

Es gibt noch eine dritte Erklärungsart für mein Handeln, die vermutlich ebenfalls kausal ist: Ich bin schlicht süchtig nach Bier, und diese meine Sucht hat mich zum Kühlschrank getrieben. Wir beachten diese Möglichkeit nicht weiter, indem wir annehmen, dass ich de facto nicht süchtig nach Bier bin. Insbesondere werden wir im Folgenden von der (falschen) Annahme ausgehen, dass jede kausale Erklärung einer Handlung in Form der Nennung einer Pro-Einstellung zusammen mit einer zugehörigen Überzeugung gegeben werden kann – dass kausale Erklärungen also stets den primären Grund einer Handlung angeben.

Wie hängen diese Variante der kausalen Erklärung und teleologische Erklärungen nun zusammen? Ist eine von beiden primär?

Kausale Erklärungen liefern teleologische Erklärungen

Beginnen wir mit einer kausalen Erklärung einer Handlung. Angenommen, es liegt eine Handlung H des Akteurs S vor, die er aus dem primären Grund G vollzogen hat. Es gibt also eine Pro-Einstellung P bezüglich einer Eigenschaft E der Handlung H, sowie die Überzeugung, dass H diese Eigenschaft E tatsächlich hat.

Dann können wir diese kausale Handlungserklärung von H offenbar in ein teleologisches Vokabular bringen: Wir können sagen, dass S die Handlung H ausführt, um eine Handlung mit der Eigenschaft E zu vollziehen. Diese Erklärung ist, wie das „um … zu“ zeigt, eine teleologische Handlungserklärung. Aufgrund der Allgemeinheit der betrachteten kausalen Erklärung scheint es demnach so zu sein, dass jede kausale Erklärung, die einen primären Grund nennt, in eine teleologische Erklärung umformuliert werden kann. Kausale Erklärungen durch primäre Gründe lassen sich also auf teleologische Erklärungen reduzieren – oder so scheint es mir jedenfalls zu sein.

Teleologische Erklärungen liefern kausale Erklärungen

Betrachten wir nun den umgekehrten Fall. Angenommen, es liegt eine Handlung H des Akteurs S vor, und sei diese Handlung H teleologisch dadurch erklärt, dass S H vollzieht, um ein Ziel X zu erreichen. Dann scheint es prima facie so zu sein, dass S eine Pro-Einstellunghinsichtlich des Ziels X hat – denn anderenfalls würde die Angabe des Ziels X der Handlung H überhaupt nicht erklären, warum S H vollzieht. Wir können S zudem die Überzeugung unterstellen, dass er glaubt, das Ziel X zu erreichen, indem er H vollzieht – ansonsten würde er nicht H vollziehen, um X zu erreichen.  

Aufgrund der Allgemeinheit der betrachteten teleologischen Erklärung scheint es mir nun so zu sein, dass wir auch umgekehrt aus einer teleologischen Erklärung eine kausale Erklärung durch Angabe eines primären Grundes gewinnen konnten. Teleologische Erklärungen lassen sich demnach auf kausale Erklärungen durch Angabe von primären Gründen reduzieren – oder so scheint es mir jedenfalls zu sein.

Teleologische Erklärungen und kausale Erklärungen als zwei Seiten einer Medaille

Fassen wir das Gesagte zusammen. Angenommen, es liegt eine Handlung H eines Akteurs S vor. Wenn wir eine kausale Erklärung für H haben, können wir daraus eine teleologische Erklärung für H basteln – das wurde zuerst gezeigt. Und wenn wir eine teleologische Erklärung für H haben, können wir daraus eine kausale Erklärung für H gewinnen – das wurde danach gezeigt. Also scheinen mir kausale Erklärungen durch Angabe primärer Gründe sowie teleologische Erklärungen durch Angabe von Zwecken bloß zwei Seiten einer Medaille zu sein: Habe ich eine, habe ich beide.

Kann das richtig sein?

Ich habe das Gefühl, hier irgendetwas übersehen haben zu müssen – denn es gibt eine große Debatte darüber, ob kausale Erklärungen und teleologische Erklärungen einer Handlung aufeinander reduzierbar sind, und in dieser Debatte gibt es zwei Lager: Die einen reduzieren kausale Erklärungen auf teleologische Erklärungen, die anderen reduzieren teleologische Erklärungen auf kausale Erklärungen, und beide Lager werden in ihren Argumenten immer spitzfindiger.

Beispiele abweichender Kausalketten

Ich kann den Argumenten auf beiden Seiten allerdings nicht immer folgen. Nehmen wir das bekannteste Beispiel der ganzen Debatte: Das Beispiel abweichender Kausalketten. Angenommen, wir behaupten folgendes: A führt F aus, um G zu tun, genau dann wenn A die Intention hat, G zu tun, und diese Intention verursacht, dass er F tut. Die linke Seite der Äquivalenz entspricht einer teleologischen Erklärung (man beachte das „um … zu“), die rechte Seite entspricht einer kausalen Erklärung mithilfe einer Intention.

Scott Sehon behauptet in seinem Aufsatz „Abweichende Kausalketten und die Irreduzibilität teleologischer Erklärungen“ (in: Christoph Horn und Guido Löhrer (Hrsg.): Gründe und Zwecke, Suhrkamp, 2010, S. 85-111), dass diese Äquivalenz einer Klasse von Gegenbeispielen ausgesetzt ist, die man als Beispiele abweichender Kausalketten bezeichnet. Er nennt ein Beispiel von Alfred Mele:

„Ein Philosoph beabsichtigt, sein Wasserglas umzustoßen, um seinen Kommentator abzulenken. Seine Intention bringt ihn jedoch so aus der Fassung, dass seine Hand unkontrollierbar zittert, an das Glas stößt, und es zu Boden wirft.“

(zitiert nach: Ebd., S. 85)

Sehon zufolge erfüllt dieses Beispiel alle Voraussetzungen der rechten Äquivalenz: Der Philosoph beabsichtigt, seinen Kommentator abzulenken, und diese Absicht verursacht, dass er das Glas zu Boden stößt. Aber, so Sehon, wir würden nicht sagen, dass der Philosoph in diesem Fall das Glas zu Boden stößt, um seinen Kommentator abzulenken: „Sein Verhalten war unwillkürlich und demnach gar nicht auf irgendein Ziel hin ausgerichtet.“ (Ebd., S. 85) Demnach können wir aus einer kausalen Erklärung im Allgemeinen keine teleologische Erklärung gewinnen.

Ich sehe hier aber nicht, inwiefern die rechte Seite der Äquivalenz wirklich erfüllt ist: Ich würde bestreiten, dass der Philosoph im Sinne einer Handlung das Glas zu Boden wirft. Wie Sehon sagt, war sein Verhalten (!) unwillkürlich – also liegt überhaupt keine Handlung vor, sondern ein bloßes körperliches Verhalten, das den Philosophen involviert und durch seine Intention, den Kommentator abzulenken, verursacht wurde. Insofern aber auf der rechten Seite der Äquivalenz gemeint ist, dass F im Sinne einer Handlung vollzogen wird, ist die rechte Seite der Äquivalenz nicht erfüllt. Also zeigt das Gegenbeispiel der abweichenden Kausalketten nicht das, was gezeigt werden soll.

Was übersehe ich?

Aber irgendetwas muss ich übersehen – denn die Beispiele abweichender Kausalketten werden von vielen Philosophen als ernstzunehmendes Problem des kausalen Ansatzes von Handlungserklärungen gesehen. Vielleicht liegt das Problem schon im Handlungsbegriff: Ist uns überhaupt klar, was wir unter einer Handlung im Gegensatz zu beobachtbarem Verhalten verstehen? Steckt im Handlungsbegriff selbst vielleicht schon der Bezug auf eine teleologische Zweckgerichtetheit, wie Harry Frankfurt in demselben Band vermutet?

Ist das alles überhaupt wichtig?

Ich bin mir nicht einmal sicher, wofür die ganze Debatte überhaupt wichtig ist. Was hängt daran, ob kausale Erklärungen auf teleologische Erklärungen reduzierbar sind, oder umgekehrt? Was wäre so schlimm daran, wenn es verschiedene Arten der Handlungserklärung gibt, und wir ganz pragmatisch und problemlos zwischen ihnen changieren könnten? Wie gesagt, irgendetwas muss ich hier übersehen, denn kluge Leute debattieren solche Dinge nicht ohne Grund. Ich bitte deshalb die geneigte Leserin, die sich in der Debatte auskennt, mir im Kommentarbereich auf die Sprünge zu helfen: Ich lerne gerne! Im Moment erscheint mir die Debatte insgesamt aber eher fehlgeleitet und wenig zielführend.

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