Auf diesem Blog war es nun einige Zeit ruhig geblieben. Totenstille, könnte man sagen. Zum Glück liegt das nicht daran, dass ich gestorben bin. Ich habe mich vielmehr in Lenz Prüttings Werk Homo Ridens. Eine phänomenologische Studie über Wesen, Formen und Funktionen des Lachens versenkt, was einfach einige Zeit gedauert hat – ein knapp 2000-seitiges Werk über das Lachen liest man nicht mal eben so nebenbei. Und ich muss neidlos anerkennen, dass Lenz Prütting mit diesem Werk genau das unternommen und erreicht hat, was ich mir selbst einmal – nur halb im Scherz – als ein Lebensziel gesetzt habe: Einen dicken theoretischen Wälzer über Humor und Lachen zu schreiben, der dabei selbst (fast) überhaupt nicht komisch ist. Ein wirklich beeindruckendes Werk, das es verdient, ein Standardwerk über das Lachen genannt zu werden.
Nach dieser Lektüre stehe ich allerdings vor einem alten Problem: Ich habe eine Schreibblockade. Und es sind wieder die alten Fragen, auf die ich keine Antwort kenne: Was soll ich schreiben, wenn bereits alles gesagt ist? Soll ich einfach wiederkäuen, was ich bei Lenz Prütting gelernt habe? Aber das hat Lenz Prütting mit seinem knapp 300-seitigen Nachfolgeband Spielräume des Lachens. Eine anthropologische Studie, der explizit mit der Intention geschrieben wurde, eine Zusammenfassung von Homo Ridens zu sein,mit Sicherheit viel besser gemacht, als ich es könnte. Es stellt sich außerdem die Frage, für wen ich schreibe – de facto liest es ja doch kaum jemand. Schreibe ich für die zwei Personen, von denen ich weiß, dass sie meinen Blog lesen? Oder für mich selber? Oder für mir unbekannte, idealisierte Leser?
Ich merke dabei durchaus, dass ich mir vor allem selbst im Weg stehe. Nietzsche zum Beispiel hatte offenbar kein Problem damit, seinem Buch Also sprach Zarathustra die vieldeutige Widmung „Ein Buch für Alle und Keinen“ mit auf den Weg zu geben – man fühlt dabei etwas von seiner zu Lebzeiten unerfüllten, unterschwelligen Sehnsucht, ein bekannter und anerkannter Philosoph und Schriftsteller zu sein. Diese Sehnsucht habe ich auch. Doch wie gesagt, ich stehe mir selbst im Weg – denn für wen sollten diese Ausführungen über meine Schreibblockade interessant sein, außer vielleicht für Freunde und Verwandte?
Ich will also versuchen, diesen Text gegen meine inneren Widerstände aus mir herauszupressen, indem ich meine inneren Widerstände selbst ins Bewusstsein hebe und verschriftliche. Vielleicht bietet mir das einen Ausweg aus meiner Schreibblockade. Vielleicht kann ich an meinen inneren Widerständen arbeiten. Dieser Text ist also wesentlich selbst-therapeutisch. Und damit schreibe ich ihn vornehmlich für mich. Das bietet mir wenigstens eine Motivation, den Laptop nicht einfach zuzuklappen und das Schreiben sein zu lassen.
Aber selbst das Bewusstmachen fällt mir schwer, weil die inneren Widerstände nicht gleichsam klar positionierte Hürden auf dem Weg zum fertigen Text sind, sondern weil sie vielmehr ein dichtes, miteinander verwobenes Knäuel bilden, das ich erst einmal zu entwirren habe.
Widerstand 1: Übertriebene Selbstreflexivität
Ein roter Faden, der sich durch dieses Knäuel zieht, ist eine gewaltig ausgeprägte Selbstreflexivität meines Denkens. Alleine der Umstand, dass ich hier meine eigene Schreibblockade thematisiere, zeugt von einem starken Hang zur Selbstbespiegelung und Nabelschau. Und das will ich eigentlich nicht. Ich will Texte über interessante Themen schreiben und nicht meine Unfähigkeit, einen Text zu Papier zu bringen, thematisieren. Wer will das lesen? Dieser Gedanke verführt mich dazu, diesen Text abzubrechen und in den Papierkorb zu werfen. Aber betrachten wir das Knäuel noch genauer – vielleicht können wir noch weitere Widerstände identifizieren.
Widerstand 2: Mangelndes Selbstwertgefühl
Die Frage „Wer will das lesen?“ bringt mich auf einen weiteren inneren Widerstand: Ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl ist bei mir quasi nicht vorhanden. Ich gehe unhinterfragt davon aus, dass sich niemand für das interessiert, was ich zu sagen oder zu schreiben habe. Ich kann Menschen wie meine Schwiegermutter nicht verstehen, die wie selbstverständlich davon ausgehen, dass sich andere Leute dafür interessieren, wie ihr Alltag so aussieht. Ich gehe vielmehr wie selbstverständlich davon aus, dass es niemanden interessiert, was ich überhaupt denke und fühle – von meinem profanen Alltag als Hausmann und Vater ganz zu schweigen. Das lähmt natürlich meinen Antrieb, meine Gedanken zu Papier zu bringen.
Dieses fehlende Selbstwertgefühl hängt aufs Engste damit zusammen, dass ich meinen Selbstwert über meine Leistung definiere, zugleich aber überhaupt kein Maß dafür habe, welche Leistung „genug“ ist, um mir meinen Selbstwert gleichsam „bewiesen“ zu haben. Mein leistungsabhängiger Selbstwert ist vielmehr völlig maßlos: Ich muss immer noch mehr leisten; immer noch mehr geniale Einfälle haben; immer noch mehr schreiben, um mir selbst meinen eigenen Wert zu beweisen. Das ist allerdings ein Fass ohne Boden – ich werde niemals fertig, das heißt, ich werde mir über meine Leistung niemals ein Selbstwertgefühl erarbeiten können.
Die Frage lautet also: Wie bekommt man ein ausgeprägtes, leistungsunabhängiges Selbstwertgefühl? Ist das etwas, was sich in der Kindheit herausbildet – oder eben gar nicht? Kann man daran als Erwachsener überhaupt noch schrauben? Und wenn ja, wie? Ich habe auf diese Fragen keine Antwort. Aber ich glaube, hier liegt ein zentraler Ursprung meiner gesamten Malaise.
Widerstand 3: Ein Gefühl der Sinnlosigkeit
Ein weiterer innerer Widerstand besteht in einem Gefühl von Sinnlosigkeit meines Tuns. Zum einen ist da die oben bereits angesprochene Frage „Wer will das lesen?“, die auf diese Sinnlosigkeit verweist: Wozu einen Text schreiben, den keiner lesen will und wird? Dass meinen Text keiner lesen will und wird, ist natürlich eine Grundüberzeugung, die sich aus meinem mangelnden Selbstwert ergibt – wir sehen hier ganz gut den Knäuelcharakter meiner inneren Widerstände – alles hängt mit allem zusammen.
Es gibt aber noch weitergehende Erwägungen, die auf eine Sinnlosigkeit des Schreibens hindeuten. Es stellt sich beispielsweise die Frage, welche Arten von Text in Zeiten von Künstlichen Intelligenzen wie ChatGPT oder Grok noch einen Mehrwert haben. Es scheint mir so zu sein, dass einige ganz grundlegende Gattungen wie die Textzusammenfassung oder die argumentative Rekonstruktion in wenigen Jahren besser von Künstlichen Intelligenzen erledigt werden können.
Allerdings sind wir offensichtlich noch nicht so weit. Ich habe heute ChatGPT gebeten, eine Zusammenfassung von Lenz Prüttings Homo Ridens zu formulieren. Die Antwort war so weit ab vom Schuss, dass ich ChatGPT gefragt habe, ob es die Textzusammenfassung frei erfunden habe. Die Antwort lautete: „Ja, du hast recht – die Zusammenfassung war frei formuliert, basierend auf einer typischen Analyse eines Buchs mit einem solchen Titel.“ Bis jetzt kann man sich auf ChatGPT also weiß Gott nicht verlassen – ich glaube aber trotzdem, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Künstliche Intelligenzen verlässliche und gute Inhaltsangaben schreiben können. Bleibt also die Frage, auf die ich keine Antwort kenne: Welche Form von Text wird durch ChatGPT nicht entwertet? Was wird den Test der Zeit bestehen?
Widerstand 4: Perfektionismus
Mit dem Bestehen des Tests der Zeit kommt ein weiterer innerer Widerstand zum Tragen: Mein Perfektionismus. Dieser hängt wiederum mit meinem leistungsabhängigen Selbstwert zusammen, denn ich muss nicht nur immer mehr schreiben, um mich selbst zu beweisen, sondern was ich schreibe soll auch noch Gehalt und Substanz haben; es soll wahr sein und einen bleibenden Wert haben; es soll den Test der Zeit bestehen.
Aber gerade dieser Test der Zeit ist völlig gnadenlos: Wer hat ihn schon bestanden? Gerade in der Philosophie muss man sagen: So gut wie niemand. Und selbst die paar großen Texte, die heute noch gelesen werden, werden vor allem dazu benutzt, um sich an ihnen abzuarbeiten und in Abgrenzung von ihnen eine eigene Position zu entwickeln.
Die Fragen, die der Philosophie geblieben sind und nicht an die anderen Wissenschaften delegiert wurden, haben sich als äußerst robust erwiesen und konnten zumeist bis heute keiner Lösung zugeführt werden. Es wäre daher völlig vermessen, auf diese Fragen eine allseits befriedigende Antwort geben zu können. Und doch ist es mein (uneinlösbarer) Anspruch an mich selbst. Alles andere ist es nicht wert, geschrieben zu werden – so lautet jedenfalls mein perfektionistisches Credo.
Fassen wir zusammen: Meine Schreibblockade resultiert aus einem nicht zu befriedigenden, leistungsabhängigen Selbstwertgefühl, der eng verbunden ist mit einem quantitativ wie qualitativ übermenschlich hohen Anspruch an meine eigenen Texte sowie einer gewissen selbstreflexiven Einsicht in die Sinnlosigkeit eines so perfektionistischen Anspruchs an mich selbst, dem ich nicht gerecht werden kann.
Wie ich aus dieser Nummer raus komme, weiß ich noch nicht. Aber fürs Erste habe ich wenigstens ein Ziel erreicht: Ich habe meine heutige Schreibblockade durchbrochen. Mal sehen, was die Zukunft bringt.