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Warum Dark eine der besten Serien der Welt ist und ich sie mir voraussichtlich niemals wieder ansehen werde

In den letzten Wochen bin ich endlich dazu gekommen eine Serie zu schauen, die mich schon seit Monaten brennend interessiert hat: Die deutsche Netflix-Produktion Dark. Ich wusste im Vorfeld nur, dass es eine düstere, Grimme-Preis-prämierte, auf IMDB abgefeierte Serie über verschwundene Teenager und Zeitreisen ist – aber diese spärlichen Informationen haben völlig ausgereicht, um mein Interesse zu wecken. Düstere Stimmung? Zeitreisen? Grimme-Preis und Publikumsliebling? Count me in!

Bevor ich meinen Eintrag beginne, hier ein Wort der Warnung, das mittlerweile bei der Besprechung von fiktionalen Werken obligatorisch geworden ist: Ich werde im Folgenden heftig spoilern. Und wenn ich heftig spoilern sage, meine ich: Heftig spoilern! Ich werde nicht alle Story-Elemente verraten – aber ich werde definitiv über das Ende und einige Schlüsselszenen sprechen. Wer mit dem Gedanken spielt, sich die Serie anzuschauen, dem empfehle ich hiermit ausdrücklich, nicht weiterzulesen.

Wirklich. Ich meine es ernst. Lies über diesen Absatz hinaus nicht weiter. Schließe den Browser. Besorge dir die Serie oder Netflix. Schau sie dir an. Dark ist vielleicht die beste deutsche Serie, die je produziert wurde. Und auch international gesehen dürfte Dark nicht weniger sein als ein Meilenstein der gehobenen TV-Unterhaltung. Die Lobeshymnen sind nicht aus der Luft gegriffen. Dark wird dich herausfordern. Intellektuell. Psychisch. Moralisch. Und die Serie lebt unter anderem davon, dass sie deine Erwartungen nimmt und sie gegen die nächste Wand schleudert. Regelmäßig. Wieder und wieder. Lass dir den Spaß nicht entgehen. Schließ den Browser. Schau dir Dark an. Wenn du damit fertig bist, darfst du gerne wiederkommen.

Achtung: Heftige Spoiler-Warnung! Noch kannst du umkehren!

Und? Hast du Dark geschaut? Etwa nicht? Nun, ab jetzt kenne ich kein Mitleid mehr. Mögen die Spoiler beginnen. Vielleicht bist du ja wie meine Mutter. Die fängt jedes Buch auf der letzten Seite an: Wenn ihr das Ende nicht gefällt, legt sie es wieder beiseite. Ein Vorgehen, über das ich lange Zeit nur schmunzeln konnte. Warum sollte ich mir den halben Spaß nehmen, indem ich im Vorfeld das Ende lese? Das schien mir lange Zeit völlig absurd zu sein.

Warum Spoilerwarnungen im Grunde genommen in die Mülltonne gehören

Aber am Ende des Tages darf ich nie vergessen, dass der Ansatz meiner Mutter wissenschaftlich betrachtet sogar der richtige und angemessene ist: Denn psychologische Studien haben gezeigt, dass das Spoilern einer guten Story nicht den Spaß mindert, sondern ihn paradoxerweise sogar erhöht. Wobei diese Erkenntnis bei Lichte betrachtet gar nicht mal so paradox ist: Denn ein guter Geschichtenerzähler wird auf dem Weg zum Ende immer wieder kleine Hinweise auf das Ende geben, sodass das Ende im Rückblick völlig sinnvoll und logisch erscheint. Und wenn man das Ende schon kennt, dann kann man diesen Hinweisen von Anfang an folgen und sie angemessen wertschätzen.

Deswegen kann es auch so großen Spaß machen, gute Filme oder Serien mehrfach zu schauen. Gute Geschichten sind keine Wegwerfprodukte, sondern sie werden tendenziell immer besser, je öfter man sie sich zu Gemüte führt. Ein persönliches Beispiel hierfür sind Filme der Coen-Brüder wie The Big Lebowski, Barton Fink oder Miller’s Crossing: Beim ersten Mal schauen checke ich noch gar nicht, worauf die Story überhaupt hinauswill – erst nach mehrmaliger Betrachtung erschließt sich mir die Storyline und mit ihr der volle Filmspaß, denn nun bemerke ich die vielen liebevollen Details, die die Coen-Brüder in den meisten ihrer Filme verstecken.

Natürlich hat auch das irgendwann ein Ende – ich muss mir The Big Lebowski jetzt nicht unbedingt noch ein zehntes Mal geben. Aber es bleibt bei dem wesentlichen Punkt, dass gute Geschichten erst dann so richtig Spaß machen, wenn man der Story nicht mehr so viel Aufmerksamkeit schenken muss, sodass man mehr auf die ganzen Details achten kann, von denen eine gute Geschichte mindestens so sehr lebt wie von der Story.

Warum ich trotzdem eine Spoilerwarnung herausgegeben habe

Aber wenn es so ist, dass eine gute Geschichte ruhig gespoilert werden darf, und wenn Dark doch ein Meilenstein der TV-Unterhaltung ist: Warum gebe ich überhaupt eine Spoilerwarnung heraus und bestehe darauf, dass man sich die Serie ansieht, bevor man das Ende kennt? Der Grund ist einfach: Dark ist eine vor allem für deutsche Verhältnisse wirklich fantastisch produzierte und herausragend gut gemachte Serie. Bis zur allerletzten Folge war ich überzeugt, dass Dark die beste, schlüssigste, kompromissloseste, intelligenteste Serie ist, die je gedreht wurde. Und ich war überzeugt, dass die Macher verdammte Genies sind.

Das Präteritum deutet es jedoch an: In der allerletzten Folge wendete sich das Blatt. Anfangs dachte ich noch, dass die Macher ihrer Serie treu bleiben würden. Aber je tiefer ich in die letzte Folge hineingeführt wurde, desto heftiger stieg in mir die Befürchtung auf, dass die Macher einen schweren Fehler begehen würden. Bis ich meine Vorschusslorbeeren, die ich der Serie in privaten Gesprächen zuteilwerden ließ, in den allerletzten Szenen endgültig zu Grabe tragen musste. Dark ist immer noch tolle Unterhaltung. Aber bis zur letzten Folge hatte ich gedacht, es wäre auch herausragende, geniale Kunst. Dieses Urteil muss ich leider revidieren.

Wäre Dark das Kunstwerk, für das ich es hielt, dann hätte ich die Spoilerwarnung in der Tat zu Unrecht herausgegeben: Ein Kunstwerk nimmt keinen Schaden an Spoilern – im Gegenteil steigern Spoiler seinen Genuss. Ein Unterhaltungsprodukt allerdings kann durch Spoilern erheblichen Schaden nehmen. Nehmen wir nur die Mutter aller Plot-Twists: The Sixth Sense. Vermutlich hat jeder diesen Film bereits gesehen. Wenn nicht: Achtung, Spoiler-Warnung!

Am Ende von The Sixth Sense wird verraten, dass die von Bruce Willis dargestellte Person in Wahrheit die ganze Zeit tot ist. Der Schock über diesen Plot-Twist ist Teil der Unterhaltung! Man kann sich den Film natürlich jetzt nochmal reinziehen, um zu sehen, wie einem die ganze Zeit verborgen bleiben konnte, dass Bruce Willis tot ist. Aber ehrlich gesagt ist mein Interesse daran nicht soo groß. Und wenn ich das Ende von The Sixth Sense schon gekannt hätte, wäre mein Spaß an dem Film vermutlich nur halb so groß gewesen. Mag sein, dass ich da falsch liege – aber ich glaube nicht, dass das ein künstlerisch soo toller und interessanter Film ist, dass man ihn sich mehrmals ansehen müsste. Der Film ist der Plot-Twist – und der Plot-Twist ist der Film.

The Point of No Return: Ab jetzt wird hemmungslos gespoilert

Und damit sind wir nun beim Ende von Dark angelangt. Aber umerklären zu können, warum das Ende so schrecklich ist, muss ich ein wenig ausholen. Es ist nämlich so: In der Serie Dark werden drei Paralleluniversen dargestellt, zwischen denen man mit kleinen Gadgets hin und her springen kann, und innerhalb derer man mithilfe von Zeitmaschinen und verborgenen Passagen in der Zeit reisen kann.

Die Bewohner der drei Paralleluniversen sind nun auf mannigfaltige Weise miteinander verknüpft. Erstmal werden sie von den gleichen Schauspielern gespielt, sodass man mit Fug und Recht von Doppelgängern oder Zwillingen sprechen könnte. Darüber hinaus gibt es allerdings durch die Möglichkeit der Reise zwischen den Universen und durch die Zeit überaus lustige und kuriose familiäre Verstrickungen.

Bootstrap my Ass: Ein kleiner Einblick in eine durch zeitmaschinelle Einführung von Bootstrap-Loops kausal determinierte Horrorshow

So stellt sich gegen Ende zum Beispiel heraus, dass alle gebürtigen Nielsens von einer gewissen Agnes Nielsen abstammen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren wurde. Agnes Nielsen allerdings ist das Produkt zweier Zeitreisender: Der Vater von Agnes Nielsen ist Bartosz Tiedemann, der aus dem Jahr 2020 in das Jahr 1890 gereist ist. Die Mutter von Agnes Nielsen wiederum ist das uneheliche Kind von Hannah Kahnwald, die in das Jahr 1954 gereist ist und dort unter dem Namen Katharina Nielsen eine Affäre mit Egon Tiedemann – dem Großvater von Bartosz Tiedemann – hatte. Das uneheliche Kind dieser Affäre erhielt den schönen Namen Silja. Ich kann uns hier einige verwirrende Zeitreisen ersparen. Das Ergebnis ist wie gesagt unter anderem Agnes Nielsen – die Großmutter aller gebürtigen Nielsens der Story.

Aber Agnes Nielsen ist nicht das einzige Kind von Bartosz und Silja: Auch ein gewisser Hanno wird von den beiden gezeugt. Dieser Hanno bekommt später den Namen Noah und wird einer der wesentlichen Protagonisten der gesamten Zeitreise-Story. Insbesondere ist es dieser Noah, der den Bartosz aus dem Jahr 2020 in die Existenz von Zeitreisen einführt und letztlich mit dafür verantwortlich ist, dass er in das Jahr 1890 zurückversetzt wird. Wir sehen also: Noah, der (deutlich ältere) Sohn von Bartosz, führt den jungen Bartosz in die Zeit zurück, und sorgt damit dafür, dass er (Noah) überhaupt geboren wird: Das nennt man eine Kausalschleife oder ein Bootstrap-Paradox. Dark ist voll von Bootstrap-Paradoxien.

Hier ein weiteres Bootstrap-Paradox: Der Erfinder der Zeitreisemaschine hat ein Buch über die Möglichkeit von Zeitreisen geschrieben. Wie hat er das gemacht? Nun, eines Tages kommt ein Zeitreisender in sein Atelier und hat eine Kopie von ebendiesem Buch in der Tasche. Alles, was der Erfinder nur noch tun musste, war, das Buch sorgfältig abzuschreiben und einen Verleger für dieses Buch zu finden. Dadurch konnte eine Kopie dieses Buches in die Hände des Zeitreisenden fallen, der mit diesem Buch in der Tasche aus Neugierde den Autor dieses Buchs in seinem Atelier aufsucht. Die kausale Schleife schließt sich. Genial einfach – einfach genial. Baron Münchhausen wäre stolz gewesen!

Auf diese Weise werden jedenfalls die Schicksale der Protagonisten und Zeitreise-Artefakte von den Machern überaus sorgfältig miteinander verwoben und verschlungen. Es bildet sich ein gewaltiger Zeitreiseknoten, der völlig undurchtrennbar erscheint. Wo beginnt die Geschichte? Wo endet die Geschichte? Eine Antwort, die in der Serie immer wieder gegeben wird, ist so logisch konsequent wie schlicht: Die Handlung verläuft kreisförmig. Es gibt keinen Anfang. Es gibt kein Ende. Das Ende ist der Anfang. Und der Anfang ist das Ende.

Das Wunderschöne an Dark ist, dass auf diese ganzen Paradoxien, Zeitschleifen und Verwobenheit der Schicksale bereits in der allerersten Szene hingewiesen wird. Dort wird nämlich vor dem Hintergrund einer riesigen Foto-Pinwand der Protagonisten, die durch vielerlei Fäden miteinander verbunden werden, folgender Monolog des Erfinders der Zeitmaschine vorgetragen:

„Wir vertrauen darauf, dass die Zeit linear verläuft. Dass sie auf ewig gleichförmig voranschreitet, bis in die Unendlichkeit. Aber die Unterscheidung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist nichts als eine Illusion. Gestern, Heute, Morgen folgen nicht aufeinander. Sie sind in einem ewigen Kreis miteinander verbunden. Alles ist miteinander verbunden.“

Dark

Soweit die ersten Worte, die in der gesamten Serie gesprochen werden. Und gutes Storytelling würde nun darin bestehen, dass dieser Grundgedanke bis an sein konsequentes Ende geführt wird – welches natürlich zugleich sein Anfang sein muss. Wobei Anfang und Ende natürlich willkürlich gewählt werden können – denn, wir erinnern uns: Es gibt keinen Anfang der Geschichte. Es gibt auch kein Ende der Geschichte. Alles wiederholt sich – und zwar exakt so, wie es immer schon geschehen war und auch in Zukunft immer wieder geschehen muss. Die ewige Wiederkehr des Gleichen – Nietzsche hätte vielleicht seine helle Freude an dieser Serie gehabt.

Wobei man dazu anmerken muss, dass der Gedanke der ewigen Wiederkehr des Gleichen bei Nietzsche zu einer äußersten Lebensbejahung führen sollte: Man solle sein Leben so führen, dass man zur ewigen Wiederkehr des immergleichen Lebens fröhlich Ja sagen würde – das ist die zentrale Idee, welche Nietzsche mit seinem Gedanken der ewigen Wiederkunft und der Kreisförmigkeit der Zeit zum Ausdruck bringen wollte.

Beim Betrachten der Serie Dark wäre ihm in dieser Hinsicht allerdings das fröhliche Ja im Halse stecken geblieben – denn was sich für die Protagonisten der Serie abspielt, ist für fast alle Beteiligten eine ewige Hölle. Eltern bringen ihre Kinder um. Kinder bringen ihre Eltern um. Manche wissentlich. Andere unwissentlich. Winden – der dörfliche Schauplatz der Serie – ist, wie die Protagonisten immer mal wieder einstreuen, wie ein schwarzes Loch, aus dem niemand lebend herauskommt, und das seine Bewohner erbarmungslos zugrunde richtet.

Gut gegen Böse? Oder Dumm gegen Dümmer? Der (eigentlich) lachhafte Kampf gegen das (eigentlich) unentrinnbare Uhrwerk der Zeitreise-Paradoxien

Und so kommt es, dass sich in Parallelität zu den drei miteinander verschränkten Universen auch drei große Fraktionen herausschälen, die im Verborgenen mithilfe von Zeitreisen das Schicksal des gordischen Knotens Winden zu bestimmen suchen. Fraktion Nummer 1 wird angeführt von „Adam“, der für eine restlose Zerstörung des Zeitreiseuniversums plädiert: Der Anfang des Kreises muss gefunden und verhindert werden! Das bedeutet, dass jeder Zyklus genau so passieren muss, wie er immer schon passiert ist – bis der letzte Zyklus am Tag seines Neubeginns endlich gestoppt werden kann.

Fraktion Nummer 2 wird angeführt von „Eva“, die erkennt, dass Adams Plan letztlich auf eine Zerstörung des gesamten Universums hinauslaufen würde. Ihr Plan besteht vielmehr darin, jeden Zyklus genau so stattfinden zu lassen, wie er immer schon stattgefunden hat – und nichts weiter. Sie ist also gewissermaßen die Seite des Lebens: Lieber das Schwarze Loch Winden als gar nichts!

Fraktion Nummer 3 ist „der weiße Teufel“ Claudia Tiedemann, die eine eigene Agenda verfolgt und vor allem das Leben ihrer eigenen Tochter retten möchte. Ihr Plan ist im Laufe der Serie nicht immer ganz klar gewesen und verändert sich vermutlich auch im Laufe ihrer Charakterentwicklung. Es ist jedenfalls diese Fraktion, die am Ende die Oberhand behält – und das hinsichtlich des Storytellings auf für mich erschreckende Weise. Denn sie schafft das, was Adam zeit seines Lebens vergeblich versucht hat: Sie findet tatsächlich einen Anfang des gordischen Zeitreiseknotens.

Der Anfang des Knotens, oder: Der Anfang vom Ende

Dieser Anfang befindet sich im dritten Universum, in welches der Zuschauer erst kurz vor Schluss der Serie eingeführt wurde. Dort war sozusagen der allererste Zeitmaschinen-Erfinder, der aufgrund eines Autounfalls seinen Sohn, seine Schwiegertochter und seine Enkelin verliert, und durch diesen Schmerz getrieben eine Zeitmaschine entwickeln wollte, mit der er das traurige Geschehen wieder rückgängig machen würde.

Die Entwicklung dieser Zeitmaschine war es aber nun, die gewissermaßen zu einer Spaltung dieses Ursprungsuniversums in zwei weitere Universen führte, in denen Adam und Eva miteinander ihre Zeitreise-Fernduelle ausübten – zum Leidwesen aller Beteiligten. Damit war der Anfang gefunden: Die Universen sind gar nicht vollständig miteinander verknotet, sondern eines ist der Ursprung der anderen beiden, und wenn dieser Ursprung verhindert werden kann, dann lösen sich die beiden entstandenen Universen in Luft auf.

Wie kann man nun den Ursprung verhindern? Ganz einfach: Man reist aus einem Paralleluniversum in das Ursprungsuniversum kurz vor dem Autounfall und verhindert, dass sich der Autounfall ereignet. Kein Autounfall, kein Zeitmaschinengebastel – und kein Zeitmaschinengebastel, keine Paralleluniversen. So lautet grob gesprochen der Plan, der uns in der allerletzten Folge vom weißen Teufel in einem längeren Monolog diktiert wurde. Und alle beteiligten Akteure hielten sich brav an diesen Plan und hofften auf das Beste.

Und auch ich hoffte noch auf das Beste für die Story – denn der Plan machte überhaupt keinen Sinn. Ich dachte, es sei zum wiederholten Mal in der Serie ein Beispiel dafür, wie Menschen glauben, sie hätten endlich die Welt durchschaut und könnten irgendetwas verändern. Aber in einem Zeitreiseuniversum können sie das nicht. Es ist logisch unmöglich, die Vergangenheit durch Zeitreise zu verändern. Das ist bis dahin der Punkt dieser ganzen Serie gewesen!

Hätten sich die Macher an diesen einfachen, simplen Punkt gehalten, den sie dem Zuschauer bis dahin immer und immer wieder eingehämmert haben, dann wäre Dark das vollendet düstere Meisterwerk über den Zeitreisedeterminismus geworden, das es seiner ungeschriebenen logischen DNA nach von vornherein gewesen ist. Und es hätte auch zu weiteren philosophischen Spekulationen über Determinismus und Willensfreiheit Anlass gegeben. Allein – die Macher hatten andere Pläne. Sie wollten das Universum zerstören. Sie suchten ein Schlupfloch – und erschufen eines.

Das Ende ist das Ende, oder: M. C. Escher meets Joseph Schumpeter

Leider ist ein Schlupfloch in dieser mit kausalen Loops gefüllten Serien aber in etwa so, als hätte M. C. Escher seine sich gegenseitig zeichnenden Hände angeschaut und sich gedacht: „Hände die sich gegenseitig zeichnen… Was für einen Quatsch hab ich denn da gemalt! Besser ich radiere das wieder weg. Aber irgendwie ist das auch blöd, denn dann war das ganze Zeichnen umsonst. Hmm… Vielleicht sollte ich mich einfach beim Wegradieren filmen? Ja, das ist eine gute Idee. Genial! So mache ich’s!“

Und so ist es leider, leider mit Dark passiert: Die Macher hatten ein sagenhaftes, 10-dimensionales (3 Universen mit einem zyklischen Zeitstrahl) Kunstwerk in ihren Händen, das M. C. Escher vor Neid hätte erblassen lassen – aber in einem letzten Akt der „schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter) entschieden sie sich dazu, es in der letzten Folge in eine Wolke aus feengleichem Goldstaub zerbröseln zu lassen.

Denn der Plan des weißen Teufels gelingt tatsächlich: Jonas und Martha reisen kurz vor die Zeit des Autounfalls, worauf der Sohn des Erfinders beim Erscheinen der beiden vor Schreck fast einen Autounfall baut. Ja, er baut fast einen Unfall! Es ist beinahe absurd, wie kurz vorm Ziel die Macher einen Rückzieher machen. Ein letzter Plot-Twist, der das Kunstwerk komplett zerstört.

Denn Jonas und Martha schaffen es tatsächlich, dass der Sohn mit seiner Familie wieder zurück zu seinem Vater fährt und keinen Autounfall baut. Kein Autounfall, kein Zeitmaschinengebastel – kein Zeitmaschinengebastel, keine Paralleluniversen: Jonas, Martha und mit ihnen die beiden pechschwarzen Paralleluniversen voller Tod und Gewalt lösen sich in wohlgefälligen interdimensionalen Goldstaub auf. Und im Winden der Gegenwart stoßen die Tochter des weißen Teufels zusammen mit einigen weiteren Protagonisten, die nicht als Teil des Zeitschleifeloops gezeugt worden sind, auf eine Welt ohne Winden an. Happy End!

Ein sinnloses Ende der sinnlosen Gewalt

Ich muss sagen, dafür dass das Ende völlig vermurkst wurde, ist es mir noch ganz sympathisch. Das Zuprosten auf eine Welt ohne Winden ist ein schönes ironisches Augenzwinkern, das die an Schopenhauer und Buddha gemahnende Botschaft dieses Endes unterstreicht: Eine Welt ohne Leiden ist möglich, wenn man es schafft, das eigene Ego zu brechen. Die Botschaft gefällt mir wohl – allein mir fehlt der Glaube!

Um genau zu sein: Mir fehlt nicht der Glaube in dieser Welt. Wie ich in diesem oder diesem Blogartikel angedeutet habe, bin ich kein Vertreter des Determinismus: Ich glaube vielmehr, dass die Welt so eingerichtet ist, dass wir tatsächlich so etwas wie freien Willen haben – oder jedenfalls haben können. Es gibt meines Erachtens weder gute religiöse noch philosophische noch wissenschaftliche Gründe für die Annahme, dass alles vorherbestimmt ist.

Die Existenz einer Zeitmaschine wäre allerdings ein extrem gutes Argument für den Determinismus – eben weil man dadurch allerlei Schabernack mit kausalen Zeitschleifen treiben könnte, die sich selbst am Laufen halten. Ich halte die Existenz einer Zeitmaschine allerdings für physikalisch unmöglich. Von daher glaube ich nicht, dass die Macher von Dark eine Welt wie die unsere beschrieben haben – auch wenn sie ausgiebig mit modernsten physikalischen Termini wie Gottesteilchen, Higgsboson, Einstein-Rosen-Brücke oder Schwarzen Löchern jongliert haben. Das sei ihnen als künstlerische Freiheit durchaus gestattet – es ist eben Science Fiction.

Aber als Fiktion muss sich Dark eben den Vorwurf gefallen lassen, dass das Ende weder logischen noch werkinternen Sinn ergibt. Denn wenn sich die Paralleluniversen mitsamt ihrer Bewohner in Goldstaub aufgelöst und damit niemals existiert haben: Wie können Jonas und Martha aus diesen nichtexistenten Paralleluniversen heraus dann den Autounfall im Ursprungsuniversum verhindern? Eben. Es geht nicht. Jonas, Martha und mit ihnen die gesamten Paralleluniversen erweisen sich als dei ex machina – bloß dass die Maschine, aus denen sie herausspringen, dank ihres Auftretens niemals gebaut wird. Ich möchte dies das Anti-Bootstrapping-Paradox nennen: Mein Auftreten in Raum und Zeit verhindert meine eigene raumzeitliche Existenz. So absurd wie dieser Satz verhält sich auch das Ende von Dark.  

The End that could have been

Schade, schade, schade. Dabei lag das einzig mögliche und triftige Ende des Gesamtkunstwerks Dark klar auf der Hand: Martha und Jonas reisen an den „Anfang“ – und wie in der Serie bereits mehrfach durchexerziert wurde, verursachen sie durch ihr Erscheinen genau den Autounfall, der das gesamte Debakel erst ins Rollen bringt! Auch der weiße Teufel glaubte nur, das Spiel durchschaut zu haben: Niemand kann dem höllischen Kreislauf entkommen. Alles wiederholt sich. Immer und immer wieder. Auf ewig. Es gibt keinen Anfang. Es gibt kein Ende. Oder, um wiederum einen Schlüsselsatz der Serie selbst zu zitieren: Das Ende ist der Anfang – und der Anfang ist das Ende. Er wäre so treffend gewesen. So, so treffend.

Abschließende Reflektionen über ein grandios gescheitertes Kunstwerk

Tja. Wie geht man damit um, wenn Künstler nicht auf ihr eigenes Werk hören und es am Ende mutwillig selbst durchstreichen? Wie soll man Dark in Erinnerung behalten? Nun, vielleicht zeigt uns Dark nur, dass es im Bereich des Menschlichen einfach keine Perfektion gibt. Dark war wirklich kurz davor. Ich habe nicht alle Details der Handlung verstanden – aber ich war zumindest so weit zu glauben, dass es alles einen Sinn ergeben würde, wenn man sich die Serie noch einmal ansieht.

Mit diesem Ende ist aber klar, dass die Serie nicht perfekt sein kann. Einen offensichtlicheren Logikfehler als dieses Ende kann man sich eigentlich nur schwer ausdenken. Und das wirft auch einen düsteren Schatten auf die restliche Geschichte Windens: Wird man noch mehr Logikfehler finden, wenn man nur ausreichend sucht?

Ist das Ende nur die Spitze eines Eisbergs logischer Erzählbrüche?

Aus welchem Universum stammt beispielsweise der mittelalte Jonas? Aus dem ersten Paralleluniversum kann er nicht sein – denn der junge Jonas aus diesem Universum wird von Martha umgebracht – und aus dem zweiten Paralleluniversum kann er auch nicht sein – denn dort gibt es von vornherein keinen Jonas. Aber ist der mittelalte Jonas dann aus dem Ursprungsuniversum? Wird diese Hypothese Sinn ergeben, wenn wir uns die Serie noch einmal anschauen? Oder wird sie genauso in sich zusammenbrechen wie das verdammte, offensichtlich unsinnige Ende?

Oder was ist mit dem Sohn Evas: Warum sieht man ihn immer in dreifacher Ausführung? Wie sieht sein Lebensweg genau aus? Trommelt Eva ihn nur zu besonderen Anlässen mittels Zeitreise aus den verschiedenen Zeitsträngen zusammen und lässt ihn ansonsten unbehelligt alleine sein Leben leben? Oder wächst er schon als Kleinkind zusammen mit seinem Erwachsenen-Ich und seinem Senioren-Ich auf? Wird man seine Geschichte auf logisch kohärente Weise erzählen können? Oder sorgte es einfach für coole Bilder, wenn er immer in dreifacher Ausführung zu sehen ist?

Wenn die Macher von Dark sich für das einzig logisch konsistente und zudem werkkohärente Ende entschieden hätten, würde ich diese und ähnliche Fragen vermutlich versuchen zu beantworten, indem ich mir die Serie nochmal anschaue. Aber da das Ende nahelegt, dass die von der Serie erzählte Geschichte niemals stattgefunden hat, ist mein Interesse offen gestanden auf den absoluten Nullpunkt gefroren. Was mögliche Löcher in der Geschichte betrifft, werde ich mich daher mit einer Abwandlung des Kalenderspruchs begnügen, der am Ende der Serie bis zum Erbrechen rezitiert wurde: Was ich weiß, ist ein Tropfen. Was ich nicht weiß, ist ein Ozean.

Letzte Worte beim Zuklappen des Buches

Es bleiben mir daher nur noch Worte des Abschieds. Ach, Dark: Wie gerne hätte ich dir „Auf Wiedersehen“ oder „Bis bald“ ins Ohr geflüstert! Aber so wie die Dinge stehen, wird es wohl bei einem lakonischen aber ernst gemeinten „Lebwohl“ bleiben. Die Zeit mit dir war wundervoll – es ist bloß ein Jammer, dass es so tragisch enden musste. Ich gönne dir trotzdem von Herzen alle Lorbeeren, die auf dein Haupt gelegt wurden: Du hast sie dir verdient!

Denn nach allem was ich über dich gesagt habe war selbst dein Ende immer noch besser als das von Lost oder Game of Thrones – und selbst deren Enden fand ich gar nicht soo schlecht wie sie bisweilen gehandelt werden. Es ist nur so, dass ich mir diese Serien nach diesen Enden auch nicht noch einmal ansehen möchte – und von dir hatte ich mir einfach mehr versprochen. Viel, viel mehr.

Und du hättest es so einfach haben können. Du hättest nur noch einen klitzekleinen Autounfall mehr auf dein tiefschwarzes, bluttriefendes Konto verbuchen brauchen – und wir wären voraussichtlich Freunde fürs Leben geworden. So bleibt es dann doch nur bei einer kurzen, wenn auch durchaus leidenschaftlichen Affäre im Winter 2020/21. Aber immerhin: Du hast mir die Wintermonate versüßt – und was will ich mehr von einer Fernsehserie verlangen?

Also, trotz allem: Hut ab und Chapeau an Regisseur Boran Bo Odar, Drehbuchautorin Jantje Friese und alle anderen Beteiligten der Serie. Ich habe immer schlecht über deutsche Produktionen geredet, aber von nun an heißt es für mich Schweigen, Staub fressen und auf Dark zeigen: Es gibt auf der ganzen Welt eigentlich keine Serie – außer vielleicht Twin Peaks – vor der Dark sich verstecken müsste. (Aber selbst Twin Peaks ist nicht makellos: Mir kann keiner erzählen, dass es in der zweiten Hälfte von Staffel 2 keinen merklichen Qualitätsabfall gibt. An dieser Maus beißt auch die phänomenale dritte Staffel keinen Faden ab!)  

Ob dieses abschließende Urteil meinerseits aber nun für Dark spricht oder vielmehr gegen alle anderen – das muss, wie so oft auf dieser Website, jeder für sich selbst entscheiden.

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